Kurze Hosen

Mario Klein

von Mario Klein

Story

Mein Leben wäre wahrscheinlich anders verlaufen, wenn ich mich in das hübsche, blonde Mädchen in der Schule verliebt hätte. Hätte ich auf dem Zettel „Willst du mit mir gehen?” ein “Ja” angekreuzt, wer weiß, was dann passiert wäre. Vermutlich wären wir verheiratet, zwei Kinder, Haus und Garten. Ich wusste aber schon damals, dass ich einfach anders bin. Das erste Mal ist es mir aufgefallen, als ich Jungs und Männern nachgeschaut habe, vor allem im Frühling und Sommer. Denn da haben die meisten kurze Hosen an. Und aufgrund der Beinbehaarung malte ich mir in meinem Kopf aus, wie der restliche Körper wohl aussehen mag. Ich hatte die wildesten Fantasien, sowohl sexuell als auch romantisch. Der Mann mit der dunklen Beinbehaarung würde mir all meine Wünsche im Bett erfüllen, während der blonde Schönling mich abends zu einem romantischen Essen bei Kerzenschein ausführen würde. Meine Hirngespinste waren wirklich grenzenlos und dennoch gab es kein einziges mit einem Mädchen oder einer Frau. Mir war klar: Ich stehe auf Männer. Welches Wort man dafür verwendet, lag für mich im Verborgenen. Ich wusste weder, was es heißt schwul zu sein, noch dass “Schwuchtel” ein Schimpfwort ist. In meinem Umfeld wurde auch immer nur von Frau und Mann geredet und wann ich denn endlich eine Freundin haben würde. Heute weiß ich, dass man dies ein heteronormatives Umfeld nennt und es einem schon als Kind eingetrichtert wird, dass es eben nur ”normale“ Beziehungen zwischen einem Mann und einer Frau gibt. Zwei Männer* oder zwei Frauen* war ein absolutes Tabu.

Als Jugendlicher hatte ich viele sexuelle Abenteuer und traf Männer für eine unkomplizierte und schnelle Nummer. Sex war für mich Konsum, nicht mehr als ein Handschlag. Keinen Namen, kein Small Talk, nur die unendliche Lust, befriedigt zu werden. Leider ein Klischee und leider wahr. Ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, wie es ist, eine ernsthafte Beziehung mit jemandem vom eigenen Geschlecht zu führen. Heute weiß ich, dass es vollkommen egal ist, denn was wirklich zählt, ist die Liebe zwischen zwei Menschen.

Ich hatte nie wirklich Glück in der Liebe. Dennoch möchte ich die Hoffnung nicht aufgeben und meine romantische Vorstellung einer Partnerschaft mit meinem Traummann nicht sterben lassen. Das Leben ist zu kurz, um es nur in seinem Kopf ablaufen zu lassen. Ich möchte meine Träume Realität werden lassen und sehe mich schon vor dem Altar in einem goldenen Anzug das Ja-Wort sagen. Für manche Menschen scheint diese Vorstellung total absurd und kitschig zu sein, aber es ist ja auch meine Leben und nicht das der anderen. Außerdem habe ich gelernt mich von den Fesseln der Gesellschaft zu befreien, die mir sagt, was ich zu tun habe.

Blicke ich mit dem heutigen Tag zurück auf mein Leben, bin ich sehr dankbar. Dankbar für jede Hürde, jeden Stein und jeden Menschen, den ich getroffen haben. Und natürlich auch für jeden Mann mit kurzer Hose.

© Mario Klein 2021-04-04

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