KW 28 – Baum

„Mein Freund der Baum ist tot, er fiel im Morgenrot“

Meine Mutter, mein Bruder und ich stehen bei meinem Bruder im Zimmer am Fenster und schauen hinüber zum Nachbargrundstück, wo Bauarbeiter seit Stunden dabei sind, einen riesigen, alten Baum zu fällen. Mama hat Tränen in den Augen. Mein Bruder ist noch zu klein, um das wirklich zu verstehen. Auch ich weiß erst nicht genau, warum, aber da ich schon immer nah am Wasser gebaut bin, weine ich einfach mit ihr. Dieser Baum steht schon länger hier in unserer idyllischen Nachbarschaft am Stadtrand von Hamburg als unser Haus und die meisten Häuser drumherum. Dieser Baum ist mittlerweile so dick, dass wir ihn zu dritt gerade so mit unseren Armen umschlingen können. Dieser Baum hat Vögeln und Eichhörnchen Schutz und ein Zuhause geboten. Dieser Baum hat Wind und Regen getrotzt. Dieser Baum hat dutzende Male sein Blätterkleid gefärbt und gewechselt. Und nun kommen da einfach irgendwelche Leute daher und sägen ihn ab. Zerstückeln ihn, machen ihn zu Brennholz (hoffentlich, dann hätte er wenigstens noch eine halbwegs sinnvolle Verwendung). Wir beobachten das Treiben auf der anderen Seite des Gartenzauns und weinen alle gemeinsam.

Seitdem kann ich das Lied „Mein Freund der Baum“ nicht mehr hören, ohne an diesen Moment zu denken und ohne Tränen in den Augen zu bekommen.