La tempesta- Die Ruhe vorm Sturm

Claudia Schubert

von Claudia Schubert

Story

Ich schließe das Garagentor hinter mir und radle los.

Ab und an schenkt mir mein rostiger Drahtesel diese wohltuenden Nachmittage der Freiheit und der Leichtigkeit, in denen es nur mich, meine Kamera und kurze Ausflüge in die Stille der Natur gibt.

Stets den Blick auf den wolkenverhangenen Gipfel des Monviso gerichtet fahre ich vorbei an sich bis in die Unendlichkeit ausdehnenden Maisfeldern. Geduldig scheinen sie darauf zu warten, um zum Ausgang des Sommers mit der Ernte ihr idyllisches Schauspiel zu beenden. Manchmal halte ich an, lege mein Rad in den Graben und bewundere aus nächster Nähe dieses grüne, noch halbhohe Blättermeer, an dessen Horizont sich die pittoreske Alpenkette erstreckt. Bald darauf fängt meine Kamera die von Sonnenlicht durchfluteten, goldfarbenen Getreidefelder ein. Gesäumt von zarten, farbgebenden Mohnblumen und diesem Hauch von unerschütterlicher Seligkeit wiegen sich die Ähren sanft in der schon heißen Juniluft. Einzig und allein vereinzelte, am Wegesrand stehende Votivpfeiler unterbrechen dieses malerische Naturspektakel kurzzeitig. Es sind kleine, perfekte Momentaufnahmen in einer Zeit, in der sich düstere, graue Wolken vor dem sonst so klaren Himmel der Unbeschwertheit breit gemacht haben. Bedrohlich und einschüchternd hängen sie wie schwere, undurchdringliche Stahlwände zwischen einer faszinierenden, visionären vergangenen Zeit und dem kargen Hier und Jetzt. Denn während sich die Wunder der Natur um mich herum auf dem prächtigen Höhepunkt ihrer Blütezeit befinden, tobt in mir ein gewaltiger, kräfteraubender Sturm. Eine lähmende, innere Dürrezeit inmitten eines zauberhaften, sanften Sommers.

„Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.“

Doch ich wage es nach langem, geduldigen Ausharren an der Leine zu ziehen, die starren Scheuklappen abzunehmen und endlich unverblümt die Fragen zu stellen, die schon lange in mir auf klare Antworten warten. Werde unbequem und entdecke hinter der bröckelnden Fassade des Heiligenscheins menschliche Abgründe, die mich dazu zwingen, die Notbremse zu ziehen. Der Ort, an dem ich seit Jahren Schweiß, Herzblut und Verstand lasse, wandelt sich plötzlich in eine explosive, stickige Blase ohne Fluchtweg, gefüllt mit taubem Unverständnis, skeptischem Argwohn und stummer Kaltherzigkeit.

Die heikle Gratwanderung zwischen befohlener christlicher Nächstenliebe und der Zerstörung persönlicher Ambitionen wird immer schmaler, der Abgrund zur totalen Selbstaufgabe gefährlich groß. Stimmen von aussen hatten mich gewarnt, doch ich wollte sie nicht hören. Noch lache ich, um nicht zu weinen. Noch mache ich weiter, um nicht zu resignieren.

Doch:„Liebe bedeutet nicht, außergewöhnliche oder heldenhafte Taten zu vollbringen, sondern gewöhnliche Dinge mit Zartheit zu tun.“

Dieser eine Satz wird mir zum Ausgang des Sommers die Augen öffnen; an dessen Ende werde ich jenes verblühte Lebenskapitel hinter mir lassen. Für immer.

© Claudia Schubert 2020-06-11

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