Lady

Madeline Calvelage

von Madeline Calvelage

Story

Sanft streichle ich ihren Kopf – immer und immer wieder. Ich kann einfach nicht aufhören. Die müden Augen öffnen sich hin und wieder, allerdings scheint es ihr zunehmend schwerer zu fallen. Ganz langsam hebt und senkt sich der Brustkorb. Die vier Pfoten liegen erschöpft vor mir.

Nun ist es an der Zeit und ich soll zur Seite treten. Die Ärztin holt indessen die Spritze aus ihrer Tasche. Aber ich kann nicht – ich kann und will nicht loslassen.

Es war doch erst gestern, als ich Lady zum ersten Mal in den Händen hielt – ganz klein und nicht mal fünf Wochen alt. Ein unglaublich kleines Wollknäuel, welches mich in den letzten acht Jahren begleitet hat. Den Namen habe ich damals ausgesucht. Ich fand ihn sehr passend – sie war so schön und anmutend.

Die Ärztin zieht sich indessen Handschuhe über und entfernt die Schutzkappe der Kanüle.

Heiße Tränen strömen mir über die Wangen. Es ist jetzt wirklich so weit. Wie aus der Ferne höre ich meine Eltern schluchzen. Mein Vater hat bereits ein Loch im Garten ausgehoben.

Eine Hand berührt meine Schulter und zieht mich behutsam zur Seite. Ich kann nicht sagen, ob es einer meiner Eltern oder meine Oma ist.

Zum allerletzten Mal schaue ich in diese dunkelbraunen Augen und habe das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Die Ärztin nickt uns zu. Ohne länger zu warten, setzt sie die Spritze.

Der Schwanz geht kurz in die Höhe und senkt sich wieder. Es dauert nicht lange und die Atemabstände werden immer größer. Auf einmal ist es vollkommen still. Mitten in der Bewegung verharrt der Körper und regt sich nicht mehr.

Die Ärztin geht wenige Minuten später. Wortlos holt mein Vater eine Decke hervor und wickelt Lady darin ein. Ganz behutsam trägt er sie hinaus in den Garten, vorbei an der Tulpenwiese bis zur alten Eiche.

Noch ehe er den Körper in die Grube gleiten lässt, drückt er Lady für einen Augenblick ganz nah an sich heran und flüstert ihr ein paar Worte zu. Obwohl ich keine einzige Silbe verstehen kann, läuft mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Nie zuvor habe ich meinen Vater so sehr mit sich kämpfen sehen.

Plötzlich verrutscht die Decke. Die Schnauze liegt schlagartig frei. Meine Mutter atmet laut auf. Rasch bücke ich mich und bedecke sie wieder. Noch lange stehen wir schweigend vor dem Grab.

Ich schaue hinauf in den strahlend blauen Himmel, in dem sich der weiße Kondensstreifen eines Flugzeuges verliert. Um uns herum ist alles ruhig. Die Luft ist mild und warm, und nun vom Duft frischer Erde erfüllt.

© Madeline Calvelage 2022-08-13

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