Lady R. und das Leben in Oxford

Christine BĂŒttner

von Christine BĂŒttner

Story
Oxford, England

So wie viele saß ich am 7. Mai 2023 Punkt 12 Uhr bei der Krönungszeremonie von Charles in unserem Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat, doch plötzlich tauchten meine Gedanken ab und Erinnerungen aus dem Jahr 1972 nahmen mich gefangen. Vergessen war das Brimbamborium um den König von England, denn in diesem Jahr besuchte ich 12 Wochen lang ein College in Oxford, um meine Englischkenntnisse zu verbessern. Dieser Aufenthalt bedeutete fĂŒr mich Freiheit, meine Eltern waren nicht dabei und ich konnte schalten und walten, wie ich es wollte. Ich wurde bei Miss R. in einem wunderschönen weiß getĂŒnchten Cottage untergebracht. Die weißhaarige elegante Lady vermietete Zimmer, nicht wegen des Geldes, sondern um Gesellschaft zu haben. Sie lebte nach dem Tod ihres Mannes in diesem wunderschönen Haus mit englischen Stilmöbeln. Beeindruckend fand ich das große Chesterfield Sofa aus Leder und die BibliothekwĂ€nde in ihrem Wohnzimmer. Der weißgraue Kamin aus Marmor spendete auch an kĂŒhlen Sommertagen WĂ€rme und ich liebte das Knistern des Buchenholzes. Davor gab es einen flauschigen Teppich und zwei sehr bequeme Ohrenbacksessel sowie ein kleines rundes Tischchen. An diesem gemĂŒtlichen Platz wurde die Teestunde genau um 16 Uhr zelebriert. Das HausmĂ€dchen bereitete den Earl Grey Tee mit losen TeeblĂ€ttern zu und servierte ihn mit verschiedenen Leckereien, vorneweg Sandwiches mit Gurke und Cream Cheese, dann die Scones mit Marmelade und Clotted Cream. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich zum ersten Mal dieser Teezeremonie beiwohnte, dass ich den halbierten Scone wieder zusammensetzte, und gerade als ich abbeißen wollte, erklĂ€rte mir Lady R., dass diese Unart in keiner Weise fortgesetzt werden durfte. Eine Blamage war das. Bei diesen ZusammenkĂŒnften redeten wir ĂŒber Gott und die Welt und ich muss sagen, ich lernte viel ĂŒber England und seine Traditionen in diesen Teestunden.

Im nahegelegenen College besuchte ich Kurse, es gab bereits ein wirklich toll ausgestattetes Sprachlabor. Der Stundenplan war ziemlich dicht, denn angefangen von „englischer Konversation“ bis zur englischen Literatur standen auch Grammatik, Sprachschatz sowie Übungen zur Aussprache auf dem Programm. Eine ziemlich lange Literaturliste musste vor dem Aufenthalt in Oxford abgearbeitet werden, es gab ein ziemlich großes Lernpensum und am Ende standen mehrere PrĂŒfungen auf dem Programm, die ich Gott sei Dank recht gut absolvierte.

In meiner Studentengruppe gab es auch einen Indianer. Es gehörte zu unseren Aufgaben, dass wir ĂŒber unser Heimatland einen lĂ€ngeren Vortrag halten mussten und da erschien Inyan (der Name bedeutet Fels) mit seinem Federschmuck und in einem feinen Ziegenlederhemd. Es war beeindruckend, wie dieser junge Mann, normalerweise in Jeans gekleidet, diese Aufgabe löste. Er erzĂ€hlte wirklich spannend von seiner Abstammung und wir hingen an seinen Lippen. Plötzlich erwache ich aus meinem Englandtraum und sehe die Königsfamilie auf dem Balkon. Eines weiß ich: Diese Zeit vergesse ich nie, denn sie gehört zu den spannendsten Ereignissen in meinem Leben.

© Christine BĂŒttner 2023-05-08

Genres
Biografien
Stimmung
Informativ, Inspirierend, Unbeschwert, Reflektierend
Hashtags