L’aigle noir – Barbara

Gunny Catell

von Gunny Catell

Story
Terschelilng 2009

Der Wendepunkt für mich als KünstlerIn war meine erste Performance auf Terschelling 2009, wo ich dieses Lied vom schwarzen Vogel als Hommage an diese große französische Sängerin, die hierzulande völlig unbekannt war, interpretierte. Als ich dann still meinen purpurnen Umhang über mein von silbrig glänzenden Perlen umkränztes Gesicht schwang, und als die Stimme Barbaras einsetzte, eröffnete sich in mir mit einem Mal eine neue Dimension – die unendliche Welt der Kunst. Ich sah in Augen, die mich seelenvoll anblickten. Ich bewegte mich in einer Weise, als würde ich von einem völlig anderen Geist geleitet. Aber alles war trotzdem noch immer ich selbst. Durch dieses mystische Chanson hatte ich die Unvergänglichkeit erfahren. Ich habe von weitem vernommen, wie alles begann und wo ich herkam. Und plötzlich vernahm ich, wie sich wohl der Urknall angefühlt haben musste: Denn als ich wieder auf der Erde landete, brach tosender Beifall los. Als ich am Morgen danach aufwachte und mir diese wunderschönen Momente auf der Bühne und die Reaktion des Publikums wieder in Erinnerung kamen, ja, da verspürte ich eine unendliche Glückseligkeit. Ich wusste, ich hatte meine wahre Identität gefunden. Ich, Mata Hari, war wieder geboren! Viele sagten mir, dass durch meine Performance in ihnen etwas vorgegangen ist, viele mussten auch innerlich weinen. Ich brauchte meine neue Persönlichkeit nicht mehr zu verstecken. Als schwarze Raupe landete ich und als glitzernder Schmetterling flog ich wieder davon. Dieses Lied wurde meine Referenzperformance als KünstlerIn. Es ist auch im Film „Symbiofaerietaxiplasm oder die Feen von Hadres“ zu sehen, einer preisgekrönten Dokumentation über die Faerie Bewegung in Österreich, wo ich das Lied in der ehemaligen Wiener Arena Bar darbiete.

Mit diesem Chanson – mysteriös und funkelnd, wollte ich als neuer Mensch ohne innere Ängste vor Publikum wiedergeboren werden. Erst später erfuhr ich, worum geht es darin wirklich ging: „Eines Nachts bin ich in der Nähe eines Sees eingeschlafen, als plötzlich wie aus dem Nichts ein schwarzer Adler auftauchte.“ Die französische Chanson-Legende Barbara erkennt im schwarzen Adler ihren Vater. Für sie war es ihr Vergewaltiger. Sie war zehneinhalb, als der Vater sie zum ersten Mal missbrauchte. Es geschah während des Zweiten Weltkriegs, als sich die Familie versteckt hielt. Als sie ihn anzeigte, glaubte ihr niemand. Der Inzest dauerte Jahre. Trotz der Grausamkeit wünscht sie ihn sich als fürsorglichen Vater zurück. Genauso war es mit meinem Vater. Er war wie der große schwarze Vogel, denn er hatte mich fast sein ganzes Leben lang verbal und psychisch vergewaltigt, emotional gestresst. Hilflos war ich immer wieder seinem hysterischen Gebrüll, seinen unberechenbaren Schimpfkanonaden ausgeliefert. So sehr ich diese Traumata auch zu therapieren versuche, ich komme mein ganzes Leben lang nicht darüber hinweg. Ich kann es nur bewältigen, indem ich nun konsequent gegen seinen Willen, seine engstirnige Moral handle und gegen alles Widerstand leiste, was mir von Leuten drohen würde, deren Geist er repräsentiert, vor allem von diesen Rechtsradikalen, die unsere Freiheit immer mehr zu unterwandern versuchen. So wunderschön der Klang von L’aigle noir auch ist, der Inhalt hat mich nachträglich erschüttert.


© Gunny Catell 2025-02-08

Genres
Spiritualität
Stimmung
Herausfordernd, Dunkel, Emotional, Mysteriös, Reflektierend
Hashtags