Lamento – Teil 1

Leo Mladzinau

von Leo Mladzinau

Story

Diese Geschichte ereignete sich zur einen unruhigen und tragischen Zeit und ihr Nachhall kann noch heute in leeren und desolaten Flächen, die sie hinterließ, gehört werden, dort, wo einst ein schmaler Fluss eine kalte und klare Furche zog und den weit gelegenen Tannenwald zu beiden Seiten des Ufers trennte. Irgendwo dort, zwischen den Fichten und Lärchen, zwischen den Wölfen und Kojoten, stand in dieser Zeit auch ein Dorf, gefüllt von traurigen Hütten, die jede für sich zu stehen schien, mit Dächern aus Blech und nur wenigen Fenstern. An den Hütten entlang zog sich ein Weg voller Steine und feuchtem Sand und führte entweder dorthin, wo die Menschen sich zu kennen glaubten und in Häusern aus Ziegelstein und Beton hausten oder weiter, näher zum Wald, wo der Weg erstarb und die letzten verbliebenen Menschen – drei insgesamt – näher zu den Tieren waren, als zu ihresgleichen. Doch hatte Letzteres kaum etwas mit ihrem Gemüt zu tun, schließlich waren sie fromm und für ihre Verhältnisse gebildet, bevorzugten dafür aber ein Leben unter sich, ganz in der Gepflogenheit der winzigen Sippe aufgelöst.

Die Entscheidung, so weit von den anderen wegzuziehen, traf damals das Familienoberhaupt, dem seine Eltern den Namen Melin gaben, ganz zu Ehren seines Großvaters väterlicherseits. Seine Lebensgefährtin, Martha, hatte in der Angelegenheit ihrer Umsiedlung wenig beizupflichten, befolgte doch die Familie das Gebot ehrerbietig. So lebten die beiden, nahmen so viel von dem erzeugten Glück wie sie konnten, mussten aber das Größte lange Zeit entbehren. Dem Kummer wurde erst dann ein Ende gesetzt, als die Haare auf dem Kopf zu grauen begannen und die Verzweiflung am stärksten war und so konnte das Paar ein Kind zur Welt bringen, das sie Nestor nannten und nichts lag ihnen seitdem mehr am Herzen als dieser Bursche.

Von jungen Jahren an kräftig, heiter und voller Leben entdeckte er die große Welt in kleinen Schritten. Er sprach mit ihr mit allen vorhandenen Mitteln und behandelte sie mit Liebe, aber auch Ehrfurcht. Sie wiederum, ihrem Status gebührend, antwortete ihm auf keine besondere Art und verhielt sich zu ihm, wie zu allen anderen Kindern zuvor und versehrte ihn, wenn er sich ihr übermütig zeigte.

Zu Beginn machten sich die Eltern Sorgen, dass das Kind keine anderen Gegenüber fand, doch schien Nestor davon kaum betroffen zu sein und traute sich, sobald er eigenständig war, zu den Bauten mit Dächern aus Blech, um die dortigen Nachbarn kennenzulernen und die Entscheidung seines Vaters, von ihnen wegzuziehen, zu verstehen. Auch änderte die Anschaffung einer Katze wenig an diesem Umstand, denn diese interessierte sich für keine Seele und war niemandem etwas schuldig, außer sich selbst. In ihrem kalten Trotz verweigerte sie sogar alle Versuche sie zu füttern und ernährte sich von ihrem eigenen Tun. Ihr Aufenthalt war dermaßen flüchtig, dass sie zuerst für Tage, dann für Wochen und Monate aus den Augen verschwand und scheinbar ohne Grund die Familie nach langem Verschollensein wieder besuchte, um sich bald erneut davon zu machen.

Die Jahre vergingen indes, Nestor wurde größer und die Welt um ihn kleiner und der einst weite Weg bedeutete inzwischen nur ein baldiges Ende. Etwas musste geschehen.

© Leo Mladzinau 2023-08-24

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Reflektierend