von Leo Mladzinau
»Ja, so war es«, übernahm Melin. »Und der Feind war genauso, wie man ihn beschrieben hat: in Schwarz gehüllt, unmenschlich, blutrünstig. Aber wir hatten Glück, wir sind schnell gegangen. Die im Dorf auch. Ohne Folter, ohne Schmerz.«
Zu sagen, dass Nestor verwirrt und sprachlos war, würde seinem Zustand unrecht tun. Er war gelähmt und wusste nichts zu dem, was er hörte, zu sagen. Es war absurd.
»Wie dem auch sei, waren wir zuerst hier. Haben uns gewundert, waren ratlos, aber dann, dann ist uns das Wichtigste eingefallen«.
»Das Wichtigste?«, fragte Nestor leise.
»Ja. Zum einen hatten wir uns. Unser Zuhause, unser Land«, sagte Martha, »und dann erst wurde uns bewusst, dass du nicht da warst. Da wussten wir, dass du noch am Leben bist.«
»Was? Am Leben? Schnell gegangen? Was versucht ihr mir da zu sagen?«
»Nestor, du bist tot, mein Junge.«
Völlig fassungslos betrachtete der Sohn zunächst lange seinen Vater und wiederholte dann dieselbe Beobachtung bei seiner Mutter. Plötzlich sprang er auf.
»Ich hol‘ euch etwas zu trinken. Es ist ja wirr, was ihr mir hier erzählt.«
»Nestor, wir haben diese Unterhaltung schon so oft geführt…. Und immer schaust du so wie jetzt auch. Wir brauchen doch kein Wasser!«
Nestor setzte seinen Willen jedoch durch, brachte zwei volle Tassen zum Tisch und weigerte sich, die Unterhaltung weiterzuführen, solang sie nicht wieder leer standen. Nachdem das geschehen war, setzte er sich hin, seine Eltern abermals musternd.
»So, noch einmal: ich werde meine Sachen packen und meine Pflicht als Mann erfüllen. Und…«
»Gut, dann mach wie du denkst.«
Diese Reaktion seines Vaters überraschte Nestor aufs Neue und empörte Martha.
»Was wird denn in euren Augen geschehen, wenn ich das mache?«
»Nun, du wirst mit deinen Habseligkeiten bis zum Dorf gehen, aber dann, auf einmal, ohne es zu merken, wirst du wieder hier aufwachen. Das war’s.«
Gut, meinte Nestor, dann will er genau das probieren. Kann er doch machen, entgegnete Melin, doch soll er sich dessen bewusst sein, dass er dafür umso mehr Zeit hier verbringen werden wird. Auf ein verblüfftes Was? von Nestor, folgte sofort eine Erklärung.
»Sieh mal her«, Melin rutschte mit dem Stuhl näher an Nestor, »wir sind hier schon seit einer Weile, deine Mutter und ich. Und zuerst haben wir uns auch gefragt, was passiert ist und wie und konnten uns überhaupt gar nicht daran erinnern, wie der Feind kam.«
© Leo Mladzinau 2023-08-24