von Alina Bex
Schon vor der Hausdurchsuchung durch das SEK waren meine Eltern überzeugt, man würde uns belauschen und beschatten. Später stellte sich heraus, dass wir tatsächlich regelmäßig überwacht wurden, doch zu diesem Zeitpunkt waren wir Kinder vor allem eines: genervt.
Es war anstrengend, mit meiner Mutter zu telefonieren. Denn sobald es in der Leitung knackte oder ein kleines Nebengeräusch zu hören war, pöbelte sie vermeintliche Lauscher an. Das sah ungefähr so aus:
„Wie ist denn die Klausur gelaufen, Süße? Wusstest du alle Antworten oder…jetzt holt sich gerade eine LKA-Sau einen runter, wie schön, die kleinen Freuden des Lebens. Und einen kleinen Schwanz hat er auch. Hast du dich gut vorbereitet gefühlt? Du sagtest ja, der Stoff ist ganz schön umfangreich.“
„Ja, Mama. Es ist alles gut gelaufen.“
„Das freut mich“, sagte sie. „Stehen noch weitere Prüfungen an? Du Drecksau, ich weiß, dass du da bist! Verschwinde aus der Leitung, ich will mit meiner Tochter reden!“
„Nein, Mama. Jetzt ist erstmal Pause. Morgen fahr ich los und besuche euch.“
„Wir freuen uns auf dich. Ich hab dich lieb! Und du verpiss dich, wir legen jetzt sowieso auf!“
„Okay, Mama. Tschüß!“
Wer nun meint, abseits der Telefonleitungen hätten wir ungestört reden können, der irrt. Denn das Gerücht, das SEK würde Wohnungen manchmal auch heimlich verwanzen, während man nur schnell Shampoo und Milch einkauft, hielt sich hartnäckig.
Besonders der große Lampenschirm über dem Küchentisch hatte es meiner Mutter angetan. Schließlich besprach man beim Essen allerlei Dinge, die eventuell missverstanden werden konnten und dann Schwierigkeiten brachten. Deshalb stand sie während des Essens und mitten im Gespräch zwischendurch auf und schlug mit ihrer Gabel gegen den Lampenschirm. Sie hoffte, dass der lauschende Polizist davon Ohren- und Kopfschmerzen oder wenigstens einen Schrecken bekam. Danach setzte sie sich zufrieden wieder hin und nahm den Faden wieder auf, während wir gequälte Blicke tauschten.
Noch anstrengender wurde es, wenn sie am Telefon Codewörter benutzte, deren Bedeutung ich nicht verstand.
„Dein Vater fährt heute auf einen Elternabend. Und er nimmt Wein mit. Für seinen Bruder, weißt du? Sie waren neulich angeln.“
„Aha“, machte ich nur. „Das klingt nett.“
Meine Mutter lachte vielsagend und freute sich darüber, dass ich sie verstand und wir gleichzeitig die ganze Welt austricksten. Ich brachte es nie übers Herz, ihr zu sagen, dass ich absolut gar nichts verstand. Deshalb lachte ich einfach mit ihr.
© Alina Bex 2023-08-10