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Gudrun Salzer

von Gudrun Salzer

Story

“ Soi i ench Weckal oda a frischs Brot voabeibringa? ”

„Na, geht nit, mia kunnan jo die Haustia nit aufmochn!“

“I kunnt enchas jo ban Kuchefensta üwagem? ”

“Na, des tuat nit, du kimmst jo nit zan Haus zuacha.“

24h zuvor:

Kurz vor acht wirft mich der Kopfpolster aus den Federn. Auf dem Weg zur Kaffeemaschine riskier ich einen Blick aus dem Fenster. Tatsächlich. Sie ist über Nacht sichtbar geworden. Die schlammbraune, pulsierende Schlange. Sie zeigt sich nur zu außergewöhnlichen Anlässen. Immer dann, wenn der Himmel ohne Unterlass seine Schleusen öffnet und vergießt, die Stopptaste zu betätigen.

Hochwasser also. Auf den sonst so sattgrünen Wiesen finden sich schlammbraune Kleckse.

Nach dem Frühstück hüpfen die Kinder und ich ins Auto. Zwecks Hochwasserbetrachtung. Wir landen irgendwo zwischen massiv beeindruckt und schockiert. Unser Grad des Erstaunens steigert sich, als wir bei Freunden, die hoch über dem Tal zu Hause sind, die weitreichenden Folgen in Augenschein nehmen.

Am Nachmittag, bei einem Dorfspaziergang kommt uns der entuferte Badesee entgegen. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft schmiegen sich die ersten Sandsackbarrieren aneinander. An anderer Stelle nagt das Wasser der Badeoase an einem Gartenzaun.

Noch vor zwei Stunden wär hier niemand auf die Idee gekommen, Sandsäcke zu postieren.

Sandsäcke. Wie aufs Stichwort formieren sich die Umherstehenden zum Befüllen derselbigen.

Auf einer Chaletbaustelle finden sich Sandreste vom Plattenlegen. Erstmalig denk ich mir, dass die sinnlosen Zweitwohnsitze einen kurzweiligen Sinn ergeben. Zum Sandstehlen, um genau zu sein. Tausend Sandsäcke liefert uns die Feuerwehr. Es wird geschaufelt, abgebunden und verladen. Als das letzte Brösel Diebesgut verpackt zu sein scheint, trifft ein Lastwagen voll mit Nachschub ein. Wir bangen mit den Regenwolken und hoffen.

Schlechte oder doch gute Nachrichten? Die Tausend sind befüllt. In Mittersill ist nicht klar, ob der Erdwall die Wassermassen der Retentionsräume halten kann. Tut er’s nicht, so verschlingt das Wasser die Stadt. Im Handumdrehen wären dafür die Häuser rund um unseren Badesee aus dem Schneider. So überbringts der Feuerwehrmann.

Die nächsten Tausend trudeln ein. Und mit ihnen eine neue Ladung Füllmaterial.

Zwischenzeitlich verschwimmen die Grenzen von Schweiß und Regennässe an mir.

Wir nehmen wahr, dass alles menschenmögliche getan ist.

Die Dämmerung verschlingt das Unheil. Bevor ich den Heimweg antrete, lese ich in den Gesichtern die Angst und die Gewissheit, dass sich das Wasser nicht mit den bisherigen Eroberungen zufriedengeben wird.

Morgen-Grauen.

Grauenvoll hat das Wasser die Häuser eingekesselt. Mitten im Dorf und doch von der Außenwelt abgeschnitten.

“S Haus hod so laut gurglt und donn is eichakemma! 30cm stehts hiaz im Erdgeschoss.“

Drei Tage hält die schlammfarbene Umkesselung aus. Nun steht ein Container im Vorgarten. Eben wird das tropfnasse Sofa entsorgt. Die Küche folgt.

© Gudrun Salzer 2021-07-23

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