lange Busfahrten

Alice Rosenberg

von Alice Rosenberg

Story


„Mary, steh auf! Sonst kommst du zu spät zur Schule.“ Marilyn wurde von ihrer älteren Schwester geweckt. Genervt nahm sie eines ihrer Kissen und warf es, ohne hinzusehen, nach ihr. „Mein Wecker hat noch nicht geklingelt, lass mich in Ruhe.“ Murmelte sie.

Ihre Mutter betrat das Zimmer: „Marilyn Hewitt, aufstehen, sofort!“ Verschlafen sah sie auf die Uhr. 7:42. In diesem Moment weiteten sich ihre Augen und sofort richtete sie sich auf. „Ne, oder? Ich habe meinen Wecker verschlafen.“ realisierte sie. Sie sprang schnell auf und begann, panisch ihre Sachen zu packen und sich fertig zu machen. Ihre Schwester Mona verließ grinsend das Zimmer.

Sie rannte raus und bekam gerade mal so noch den Bus, als sie plötzlich feststellte, dass dieser sie nicht direkt zur Schule bringen würde, sie also noch eine Weile laufen müsste. Enttäuscht von sich selbst setzte sie sich auf einen der leeren Plätze und griff nach ihren Kopfhörern, um sich auf der Fahrt wenigstens ein wenig mit Musik entspannen zu können. Sie betrachtete die Kabelkopfhörer, welche sie gerade aus ihrer Tasche genommen hatte. Es waren die alten. Es waren die Kopfhörer, durch die sie immer mit René zusammen Musik gehört hatte.

Sie verlor sich in Gedanken an die langen Busfahrten, die die beiden nebeneinander verbracht hatten. An die Momente, in denen sie in seinen Armen lag. Wie sicher sie sich bei ihm fühlte. Wie sehr sie ihm vertraute.

Verträumt wollte sie aus dem Fenster blicken, als sie plötzlich bemerkte, wer neben ihr am Fenster saß. Der Tod. Er sah ihre Verzweiflung und grinste frech: „Schlechter Start in den Tag heute? Lass mich raten – der Wecker war aus. Wie das wohl geschehen ist…“ Marilyn war empört: „Du warst es? Dein Ernst?“ „Na komm schon, beruhig dich. Du warst doch gerade eben noch so ruhig, so verträumt. Wieso erzählst du mir nicht lieber, woran du gedacht hast?“„Haha sehr lustig“, antwortete sie, „mir ist es bewusst, dass du meine Gedanken lesen kannst, also tu nicht so.“

„Schön, dass du wirklich denkst, ich wäre allmächtig. Jedoch muss ich dich da leider enttäuschen. Nur deine schlechten und negativen Gedanken kann ich stets lesen. So begrenzt sind meine Fähigkeiten.“ Marilyn antwortete nicht. Stattdessen fing sie an, ihre Kopfhörer zu entwirren, um Musik anzumachen. Die Hand des Todes nahm ihr diese weg. „Woran denkst du, wenn du diese Kopfhörer siehst?“, fragte er erneut.

Marilyn sah ihn genervt an. Sie hoffte, er würde sie in Ruhe lassen, wenn sie ihn lang genug genervt ansehen würde, doch es schien so, als würde es nichts bringen. Sie gab nach: „René, mein Ex. Wir hörten immer Musik über diese Kopfhörer, wenn wir mal zusammen unterwegs waren. Pech für dich, denn mit diesen Erinnerungen verbinde ich nur positive Gedanken. Da wird es wohl nichts zu lesen geben.“

„Natürlich.“, meinte der Tod, „Darf ich aber kurz anmerken, dass du gerade deine Station verpasst hast?“

© Alice Rosenberg 2025-04-23

Genres
Spannung & Horror