von PaulHermann
Wiener Neustadt war eine wunderbare Zeit. Als Richteramtsanwärter hatte ich am dortigen Landesgericht, das damals noch die längst ĂĽberholte historische Bezeichnung Kreisgericht trug (der Schriftzug prangt auch heute noch am Gerichtsgebäude), meine Ausbildung in jenen Strafsachen, die in Gerichtshof-Zuständigkeit fallen, also die „schwereren“ Delikte. Zunächst bei einem Untersuchungsrichter, wo ich schon bald eigenständig meine ersten Vernehmungen durchfĂĽhren durfte; dann bei einem Verhandlungsrichter, wo ich natĂĽrlich auch bei den Hauptverhandlungen zugegen war und danach die UrteilsentwĂĽrfe schrieb. Ein heiĂźer Sommer, ein milder Herbst; kompetente Ausbildungsrichter, nette Kolleginnen und Kollegen, die Mädels vom Schreibdienst durchwegs von sonnigem GemĂĽt und einfach gut drauf. Kaffeerunden, wo vom Richter bis zum Rechtspraktikanten, oft auch Verhandlungs-SchriftfĂĽhrerinnen, alle dabei waren und es auch auf der informellen Ebene einen regen Wissens- und Erfahrungsaustausch gab.
Ende Oktober endete diese in jeder Hinsicht sonnige Phase meiner Richterausbildung und ich bekam einen Termin bei jenem Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, der fĂĽr unsere Ausbildung zuständig war. Hier wĂĽrde ich erfahren, wohin es als nächstes gehen sollte. „Sie kommen nach Langenlois“, eröffnete er mir kurz und trocken. Ups. Ausgerechnet Langenlois. Ein kleiner Weinort im kalten Waldviertel, und das genau ĂĽber die kalte Jahreszeit. Eine Kirche, ein Rathaus, jede Menge Weinberge. Und natĂĽrlich ein Bezirksgericht, einspännig besetzt. Meine Freude war grenzenlos.
„Hadersdorf am Kamp. Hadersdorf am Kamp.“ Es ist Montagmorgen, die Kaiser Franz Josefs-Bahn brachte mich schon in aller HerrgottsfrĂĽhe von Wien an diesen gottverlassenen Ort. Von hier aus wĂĽrde mich, nach ca. 45 min Wartezeit, eine Nebenbahn – ironisch „Kamptal-Express“ genannt – an mein Ziel bringen. Kaum Menschen am Bahnsteig, die Gleise im Nichts des undurchdringlichen Nebels endend … doch dann ist er endlich da, der ersehnte Anschlusszug, einigermaĂźen pĂĽnktlich sogar. Rasch einsteigen, bevor er wieder weg ist. Gut … noch circa 20 Minuten Fahrt bis Langenlois. Der Nebel scheint noch dichter geworden zu sein, und wärmer ist es hier auch nicht. Durch Mundpropaganda aus dem Kollegenkreis konnte ich wenigstens problemlos ein gĂĽnstiges Quartier finden, auf das ich jetzt per pedes zusteuere. Die Entfernungen sind hier ja ĂĽberschaubar. Die Zimmerreservierung war schon auf telefonischem Wege erfolgt. Das Haus stellt sich allerdings als typische Sommerresidenz heraus – ein breiter, frischluftdurchfluteter Balkon, ĂĽber den man von dem kaum wärmeisolierten Zimmer das einzige WC der Etage erreicht.
© PaulHermann 2021-03-12