Lass mal die Butter rüberwachsen!

Eva-Maria Fontaine

von Eva-Maria Fontaine

Story
Hürth 2000 – 2003

Das Sprachverhalten der jüngeren Generation lässt zu wünschen übrig. Darüber sind sich alle einig, zumindest alle, die das jugendliche Alter überschritten haben. Als Mutter bemühte ich mich immer, eine positive Haltung gegenüber allem, was mein Nachwuchs an (Sprach-)Neuheiten ins Haus einschleppte, zu entwickeln. Anstatt meine Kinder nach jedem zweiten Satz zu unterbrechen, in dem ihr Lieblingswort ‚voll‘ vorkam, hörte ich schweigend zu, ohne zu korrigieren und ohne andere, wohlklingendere Adjektive wie ‚besonders‘, ‚vollkommen‘ oder sogar ‚zutiefst‘ vorzuschlagen. Auch der Anwendung englischer Vokabeln in der außerschulischen Freizeit widersprach ich nicht, sondern empfand sie als nützlich und sogar gewinnbringend für den Englischunterricht. Beim aufmerksamen Zuhören ‚checkte‘ ich schließlich sogar, dass ein ‚cooler Typ‘ nicht etwa ein gefühlskalter Heranwachsender mit wenig Herz und unterkühlter Körpertemperatur ist, sondern eher das Gegenteil. Es störte mich auch nicht zu hören, dass auf der letzten Party, ‚der Bär los war‘ oder gar ‚der Papst geboxt‘ hatte. Nein, mit diesen Sprüchen, die immer wieder die komischsten Bilder in meinem Kopf auslösten, ließ ich mich gerne erheitern. Ich gewöhnte mich also an das Sprachverhalten meiner Kinder und ertappte mich immer häufiger dabei, dass auch ich Freunde und Bekannte anstatt mit einem höflichen ‚Guten Tag‘ ebenso cool mit einem knappen, aber dennoch freundlichen ‚Hi‘ begrüßte. Warum auch nicht? Diesbezüglich machte ich, wie es mein Ältester ausdrückte längst ‚keine Welle mehr‘. Doch es gab auch Tage, an denen es mir zu viel wurde, zu übersetzen, zu deuten, oder anhand des kindlich-jugendlichen Gesichtsausdrucks zu erschließen, ob das Gesagte humoristisch oder ernst gemeint war. Dann tröstete ich mich in der Hoffnung, dass es dem Nachwuchs in dringenden Notfällen doch vielleicht gelingen würde, zumindest einen korrekten deutschen Satz hervorzubringen. Beim gemeinsamen Abendbrot, an einem Frühlingstag wurde mein Traum tatsächlich wahr. Meine Tochter bat mich kurzerhand, doch mal ‚die Butter rüberwachsen‘ zu lassen. Müde und etwas genervt fragte ich sie, ob ich denn jetzt in den Garten gehen und ein paar Buttersamen einpflanzen solle. ‚Nein, nein‘, entgegnete sie mit einem coolen, mitleidigen Lächeln. ‚Ich meinte doch nur: Liebe Mutter, könntest du bitte so nett sein und mir die Butter von dort drüben reichen?‘

© Eva-Maria Fontaine 2024-10-01

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Komisch