Lass‘ uns ein Spiel spielen

Anne Pollenleben

von Anne Pollenleben

Story

„Warte, ich helfe dir!“, schrie meine Mutter und kam zu mir gestolpert. Zu mir, die mit acht Jahren bedürftig auf erhitztem Asphalt geschlittert ist.

Versagen war als Kind nie meine Stärke. Ich habe nicht gelernt, wie man damit umgeht und dann voller Stolz mit Schürfwunden durch die Stadt marschiert. Ich wollte perfekt sein. Mit acht Jahren musste ich sofort Skaten können. Üben wäre etwas für andere. Jeder Fall auf den Asphalt des Supermarktparkplatzes war für mich ein Zeichen, dass ich noch nicht genug geübt hatte. Es ist wie in einem Spiel. Verlierst du einmal, musst du wieder von vorn anfangen, solange, bis du einwandfrei durch den Bildschirm gesprungen und gekrochen bist, sodass dich kein Feind eingreifen konnte. Mein Feind ist die Straße, meine Feinde sind die Menschen. Wie sie streben und durch ihre eigenen Spiele tollen, als gäbe es nichts zu verlieren, als würden sie über den Spielregeln stehen.

Meine Mutter kniete vor mir und begutachtete meinen Körper. Als würde sie hoffen, dass irgendwo Blut zu sehen ist. Vielleicht wollte sie nur sicherstellen, dass es mir gut geht. Das Schlechte in Menschen zu sehen ist immer leichter, als die kleinen Funken Freude und Hoffnung. Als Kind habe ich das nicht begriffen. Lachen war so einfach, doch Weinen ebenso. Ungefilterte Emotionen voller Toblust und Ehrlichkeit. Finde das mal bei Erwachsenen, die sich dann trotzdem noch lieb haben. Nein, alle älteren Menschen als 15 Jahre sind nachtragend und bockig. Einmal ein Spiel verloren, wird es nicht wieder angefangen, sondern ein Neues gekauft.

Ich verkniff mir die Tränen und nahm die Hand meiner Mutter an, die mit einem zarten Lächeln vor mir stand, um mir aufzuhelfen. Manchmal kam es mir als Kind vor, als würde meine Mutter alles schaffen. Sie und Papa bis ans Ende der Welt, nichts wird sie in die Knie zwingen, wie mich mit acht Jahren. Ich hätte sie gern im reiferen Alter gefragt, was ihr Geheimrezept für dieses unscheinbare, aber liebe Lächeln ist, und wie sie es bis heute geschafft hat, das Lächeln für sich zu bewahren.

Nachdem sie mich zum Stehen gebracht hatte, gab sie mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: „Weiter machen.“ Mein Rebell in mir wäre gern wie eine Rakete in die Luft geschossen. Weiter machen? Mit was? Hinfallen und wütend auf mich selbst sein? Mein ach so toller Kinderverstand ließ mich zurück und ich dachte zu viel darüber nach. Ich hatte keine Lust immer und immer wieder das Spiel von vorn zu beginnen. Meine Ungeduld zeichnete sich auf meinem Gesicht ab und mit grummelnder Stimme lief ich an meiner Mutter mit den Worten, dass ich perfekt sein will, vorbei. Ich war plötzlich nicht mehr wütend, weil ich hingefallen bin, sondern darauf, dass ich dachte, niemals so schwerelos und zufrieden sein zu können, wie meine Mutter. Ich war wütend auf sie und diesem entstandenen Bild, dass man das Spiel gar nicht spielen müsse. Meine Mutter hat sich dem nie hingegeben. Aber ich schon, denn ich hatte das Spiel in meinem Kopf erschaffen.

© Anne Pollenleben 2022-08-11

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