Lauf Hamster, lauf.

Coco

von Coco

Story

Erinnern Sie sich noch, was Sie vor einem Jahr, am 20. Juli 2020 gemacht haben? Ich auch nicht. Jeff Bezos geht es da wahrscheinlich anders. Ich vermute, er hat die Badewanne mit Dollar Bills gefüllt, ein Fläschchen Dom Perignon geköpft und ein rotes Herzi in seinen Kalender gemalt. Denn an diesem einen Tag hat er, Amazon-Aktien sei Dank, 13 Milliarden Dollar verdient.

Dreizehn. Milliarden. Dollar.

Falls Sie sich da auch nie ganz sicher sind: Eine Milliarde besteht nicht aus zehn Millionen. Auch nicht aus hundert Millionen. EINE Milliarde besteht aus TAUSEND Millionen – in diesem Fall Dollar. Jeff hat also in seinem Job als Amazon Chef an einem einzigen Tag dreizehn Mal tausend Millionen Dollar „erarbeitet“.

Leistung muss sich lohnen.

Das ein Mensch überhaupt so viel Geld „verdient“ ist absurd, völlig gaga und natürlich in jeder Hinsicht falsch. Und trotzdem wollen wir das auch: Stinkreich sein. Wir wollen uns schuldenfrei ein Haus, zwei Autos und drei E-Bikes kaufen, uns eine Krankenversicherung mit allen Extras leisten, locker-lässig Luxusurlaub unter Palmen für die ganze Family springen lassen und mit einer Penis-Rakete ins Weltall fliegen.

Die gute Nachricht ist: Das können wir auch. Jede*r Einzelne von uns kann sich vom kleinen Tellerwäscher zum irren Milliardär hocharbeiten. Wir müssen nur FLEISSIG sein! Unsere Moneten mit Blut, Schweiß und Tränen VERDIENEN – wie Jeff eben.

Jeder ist seines Glückes Schmied.

Fleiß ist eine jener Tugenden, die uns von klein auf ins Hamsterhirn gehämmert werden. Wer hart arbeitet (Ja, das muss wehtun.), unbezahlte Überstunden macht (Seien Sie mal ein bisserl loyal!) und auf Nebensächliches wie Wohlbefinden und Privatleben scheißt (Kommt alles in der Pension.), wird bald tiefenentspannt auf einem Geldpolster in der Hängematte dösen. Toll! Mit diesen Aussichten geben wir doch gleich ein bisserl mehr Gas im Hamsterrad. Wie gut für die Bezos‘ und Zuckerberge dieser Welt, denn die sind darauf angewiesen, dass wir kollektiv diesem American Aufstiegsdream hinterherhecheln. Nur wenn der Großteil die Leistungslüge glaubt, gibt es genug Hamster, die sich beim Traumjagen ausbeuten lassen.

Get rich or die trying.

Der Umkehrschluss dieses Märchens deckt auf, was wir eigentlich längst wissen, aber nicht wahrhaben wollen, weil es bedeutet, dass wir eine große Systemänderung brauchen – und wir fürchten Veränderungen. Wenn am Monatsanfang zu wenig Geld aufs Konto überwiesen wird, um ein sorgenfreies Leben zu führen, hat das Humankapital wohl einfach nicht so richtig geil geleistet. Jeder Mensch, der wenig „verdient“, strengt sich nach dieser Logik einfach nicht genug an. Würde er fleißig sein, könnte er abends Dagobert-like mit Jeff ein entspannendes Geldbad nehmen.

© Coco 2021-07-24

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