Laurent

SonjaUrbanek

von SonjaUrbanek

Story

Sommer 1980. Ich war süße dreizehn und kein bisschen erwachsen. Das klingt ja vielversprechend, finde ich.

Meine beiden Cousins kamen zu Besuch, im Schlepptau einen etwa fünfzehnjährigen Franzosen. Er hieß Laurent.

Wir gingen ins Gänsehäufel schwimmen. Da fiel er mir auf; denn er hatte eine Haut, so weiß wie Schnee, Haare, so rot wie eine Karotte und eine Badehose, so schwarz wie Ebenholz. Und stumm wie ein Fisch war er auch. Was bei französischen Austauschschülern normal ist; nur wusste ich das damals noch nicht.

Tags darauf waren wir alle, also meine Cousins, deren Eltern, meine Eltern, Geschwister, ich und Laurent eben, im Haus des Meeres.

Da geschah es, dass Laurent und ich einander direkt gegenüberstanden. Auf einmal hob ich den Blick und sah ihm direkt in die Augen.

Er hatte weiche Gesichtszüge wie ich, Sommersprossen wie ich, ein schüchternes Lächeln wie ich, einen pyknischen Körperbau wie ich und bernsteinfarbene Augen. Meine Augen sind braun. Wir sahen einander an, voll Neugier. Dann senkte ich den Blick.

Ohne mir dessen bewusst zu sein, hatte ich ein Signal gesetzt.

Gegen Abend gingen wir in den Prater. Die Männer übten sich im Rosenschießen, und ich langweilte mich.

Da gab es Jubel: Laurent hatte eine Rose geschossen. Nichts war mir gleichgültiger als das.

Plötzlich wandte er sich mir zu, sah mir in die Augen wie vorhin im Haus des Meeres und überreichte mir die Rose!

Die Überraschung hätte größer nicht sein können. Ich starrte ihn an, freute mich wie ein Schneekönig, versank im Erdboden, wurde rot bis über beide Ohren, und das alles gleichzeitig.

„Aaaah!“ sagte mein Onkel, der als Erster reagiert hatte, und lachte. Alle lachten. Da lachte ich auch und nahm die Rose entgegen.

Alle lachten? Nein. Laurent war stumm wie ein Fisch geblieben. Er wusste vermutlich nur auf Deutsch nicht, was man in so einem Augenblick sagt; und ich wusste es nicht einmal auf Deutsch. „Danke!“ murmelte ich schließlich erstickt.

Es war Abend geworden, und die Verabschiedung stand an. Ich kann mich nicht erinnern, ob Laurent und ich jemals auch nur zwei Worte gewechselt hatten. In welcher Sprache denn auch? Ich konnte noch kein Wort Französisch, und er offenbar kaum Deutsch.

Was zählte, war: Er hat mir eine Rose geschenkt, eine wirkliche, echte Rose! Na gut, es war eine Plastikrose; aber sie hatte einen Stempel, wo weiß wie Schnee, eine Blüte, so rot wie Blut und einen Stängel, so schwarz wie Ebenholz; und grün wie Gras waren die Blätter.

Habe ich sie zu Hause in eine Vase gestellt? Sie aufbewahrt? Oder sie gar heimlich des Nachts an meinen werdenden Busen gedrückt? Ich weiß es alles nicht mehr; aber der Stolz und die Freude über diese erste Rose für eine noch lange nicht erwachsene Frau sind mir lebhaft in Erinnerung geblieben.

Und Laurent? Ich habe ihn niemals wiedergesehen. Ich weiß nicht einmal, wo in Frankreich er wohnt. Aber seinen warmen, bernsteinfarbenen Blick habe ich jetzt noch vor Augen, als wäre das alles erst vor wenigen Jahren geschehen.

© SonjaUrbanek 2019-09-30

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