Leben nach Fipsis Tod

Herbert Schieber

von Herbert Schieber

Story

Unsere Kinder hatten immer Haustiere. Wellensittiche, eine Vielzahl von Hamstern, Springmäuse, Biotopfische, Zwerghase, Katze, Hund. In Kurzzeitpflege sogar Mitreitpferd, Schildkröte, Wildente und Fledermaus. Wir haben auch den Tod so mancher Spezies miterleben müssen.

So auch eines Morgens, als unser damals achtjähriger Sohn vom Obergeschoss herunterkommt. Wir dachten zum Frühstück. Doch er hält in der Hand seinen geliebten Hamster Fipsi, dieser macht noch einen tiefen Seufzer, dann ist er tot. Pures Entsetzen. Ich bringe unseren Sohn trotz dieses Schicksals in die Schule. Auf dem Weg dahin meine ich tröstend: „Du bekommst am Nachmittag einen neuen Hamster.“ „Glaubst du ein anderer Hamster kann Fipsi einfach so ersetzen?“ fährt mich mein Sohn an. Der Sohn verschwindet traurig im Schulgebäude. Ich besorge in einer Geschenkboutique als würdigen Sarg einen horrend teuren Geschenkkarton und bastle ein Holzkreuz.

Nach der Schule ist Beerdigung. Wir schreiten als andächtige Prozession zur letzten Ruhestätte, einem eigenhändig ausgehobenen Loch im Garten. Ich voran mit Fipsi im Pappendeckelsarg, dahinter unser Sohn mit dem Miniaturholzkreuz. Als letztes folgt uns unsere Katze und weiß nicht worum es geht. Wir sind da. Ich lege das Schächtelchen behutsam ins Loch. Der Sohn darf das Grab zuschaufeln und das Kreuz hineinstecken. Wir stehen andächtig davor. Ich will gerade zum „Hamster unser“ ansetzten, da kommt unsere Katze, schnuppert herum und beginnt am frischen Grab zu scharren. Wir verlassen sofort die Stätte des Grauens.

Bald darauf sind wir in der Tierhandlung. Es darf ja kein Hamster sein. Wir haben die Lösung. Eine Wüstenspringmaus. Nein zwei, denn die Tochter will auch eine. Der verwaiste Hamsterkäfig wird wieder aktiviert. Zwei Wochen später haben wir sechs Wüstenspringmäuse! Eines der beiden Mäuschen war bereits beim Kauf trächtig. Damit den jungen Mäusen, drei Mädchen und ein Bube, durch den Stiefvater kein Leid passiert, sperren wir diesen in unseren leeren Vogelkäfig. Nach einem Monat ein Schock. Der frühreife Bub will seine eigene Mama besteigen. Noch ein Käfig, nur wegen diesem geilen Bock? Nein, jetzt reicht es aber!

Ich suche mit meinem Sohn im Wald eine wunderschöne Baumhöhle für unsere Mäusesippe. Und wir finden bald ein geeignetes Apartment in toller Lage. Sofort holen wir die neuen Mieter und zeigen ihnen die mit Bettchen und Futternapf möblierte Suite. Die Mäuse sind begeistert. Endlich in Freiheit. Sie tollen fröhlich herum und sind quietschvergnügt.

Am nächsten Tag besuchen wir sie wieder. Es sind nur drei Mäuse zu Hause, die anderen sind wohl auf Shoppingtour. Was für ein tolles Leben.

Tags darauf besuchen wir sie nochmal. Das Apartment ist leer. Ich versuche meinem Sohn zu erklären, dass die Mäuse wahrscheinlich auf einen Zug der daneben liegenden Pottendorfer-Linie aufgesprungen sind, um auf Urlaub in die Sahara zu reisen. Immerhin sind es ja Wüstenspringmäuse!

© Herbert Schieber 2019-09-29

Hashtags