von Ann_Bongardo
Der Regen fiel sanft auf den Boden. Die grauen Wolken hatten sich geöffnet und umhüllte den Ort in einem Dunst aus Nebel. Die Tropfen fielen monoton auf mein Gesicht und tränkte meine Kleidung, doch umgeben meiner eigenen Tränen vernahm ich die äußere Feuchtigkeit nicht wahrzunehmen. Der Schleier der Traurigkeit hatte sich um mich gelegt und wurde durch den Regen verstärkt.
Umgeben von schwarzen Anzügen und Kleidern standen wir auf feuchter Erde und blickten mit gesenkten Kopf in ein ausgehobenes Grab, in welches langsam der Sarg niedergelassen wurde. Alle schwiegen. Die Worte waren gesagt. Nur das Plätschern und das Rascheln der sich bewegenden Blätter gab der Kulisse ihre Akustik. Vereinzeltes Schluchzen paarte sich zu dieser.
Die symbolische Erde wurde unter Schmerzen und Tränen aufgeschüttet. Die letzten tröstenden Worte wurden gesprochen, die es nicht schafften, den dichter werdenden Nebel zu durchbrechen.
Langsam gestützt verließen wir den Ort des Friedens, der Trauer und des Todes. Der begleitende Schmerz würde weiter anhalten, aber umgeben von Menschen schien dieser ein wenig leichter ertragen zu sein.
„Auf ihn!“ sagte einer, als wir in seinem Lieblingsrestaurant Platz genommen hatten und sich unsere Hände um einen Kurzen klammerten. Wir hoben mit feierlichen Verlust unsere Arme und stießen auf sein Leben an. Der Geschmack des Alkohols benetzte unsere Kehlen. Der nächste Schluck wurde ausgeschenkt, während jemand das Wort ergriff. Erst mit zitternder Stimme, dann gefasster teilte er einige Anekdoten, auf die wir tranken, auf die wir lachten, auf die wir feierten.
Der Tod hatte Einkehr gefunden und würde seinen Platz nicht mehr verlassen, aber die Schatten des Lebens würden ebenso nicht weichen. Der Geist war weiterhin spürbar und für einen Moment vernahm ich ihn. Er half mir. Er lächelte mir zu. Er zeigte mir, dass er weiterhin da sein würde. Der Tod konnte sein Leben nehmen, aber nicht seine Zeit des Lebens. Ich dachte an unsere gemeinsame zurück, an die erlebten Erinnerungen, an die Freude, an die unsinnigen Streitigkeiten, an die Momente in seinen festen Armen, als er mich hielt.
Wieder lief mir eine Träne die Wange herunter, die er nicht mehr wegwischen konnte. Dennoch verzogen sich meine Lippen zu einem unwillkürlichen Lachen. Leben und Tod. Gegensätze und doch auf ewig verbunden. Ein Schatten blieb. Am Tisch, in unserer Nachbarschaft, aber vor allem in unseren Herzen. Ein Loch, welches wieder gefüllt werden musste. Tränen, die nie ganz versiegen würden.
Der Tod war unaufhaltsam. Jeder würde in seine Augen blicken müssen, aber egal wie furchterregend oder grausam es sein würde, die Momente, in denen wir gelacht, geliebt, gelebt hatten, würden weiter existieren. Wir werden weiter existieren. Vielleicht war es nur das Ende eines Kapitels und nicht des ganzen Buches. Vielleicht war in jedem Ende wirklich ein neuer Beginn. Vielleicht war Leben und Tod doch eins.
© Ann_Bongardo 2022-08-29