Lebendig oder nur atmend?

Sophia Scheuringer

von Sophia Scheuringer

Story

Lebendig oder nur atmend?

Kindergarten, Volkschule, Mittelschule, lange unbeschwerte Nächte, ein Leben, als ob es kein Morgen gab. Wir waren verloren im Moment, Tag für Tag, Stunde für Stunde und Sekunde für Sekunde, bis sich irgendwann unsere Wege auf ganz natürliche Weise trennten, wie es nun mal so ist, wenn es zwei Menschen in eine andere Stadt verschlägt. Fünf Jahre später- ein gemeinsames Abendessen. Gespannt und erfreut zugleich machte ich mich auf den Weg, erwartungsvoll in alten Erinnerungen und Erlebnissen zu tanzen. Schon von weiten konnte ich ihn erkennen, immer noch ganz der „Alte“, zumindest äußerlich-der Schein trog. Je näher ich kam und je länger wir uns unterhielten, desto klarer wurde mir, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Es war als ob mein Gegenüber nicht mehr derselbe war, als vor fünf Jahren. Schwere, Starre und Steife. Er glich eher einer Maschine, welche 60 Stunden die Woche den Ansprüchen der Gesellschaft gemäß funktionierte und dabei ganz vergaß das Leben zu wagen und insbesondere zu spüren mitsamt all seinen Facetten. Es stimmte mich unheimlich traurig, denn die grundlegende Frage, die man sich hier stellen muss, ist nicht was die Wirtschaft für einen Profit daraus zieht, sondern was beim Individuum Mensch verloren geht, nämlich all die Leichtigkeit und Lebendigkeit, die einem jeden von uns innewohnt, fatalerweise jedoch meist nur noch bei den Kindern in Erscheinung tritt, welche leicht und unbekümmert, ähnlich einer Feder, durch das Leben ziehen. Ist nicht derjenige, der nicht verwundert, pausieren und in Ehrfurcht gespannt sein kann so gut wie tot?

© Sophia Scheuringer 2020-08-10