von Winnie
Diesen Moment kann ich nicht beschreiben. Wie ein Licht, wie Wärme, wie die Sonne, Vollkommenheit, Glück. Als ich erfahre, dass ich ein Baby erwarte, mein, unser erstes Baby. Unbeschreiblich auch das Wachsen meines Körpers, in meinem Körper. Nicht so wichtig die Befindlichkeiten, die unangenehm sind. Trotzdem zwischendurch der Gedanke: Wenn nur alles gut geht!
Endlich scheint es ernst zu werden. Mein Körper wird überrollt von Schmerz. Schnell ins Krankenhaus, bald, bald wird es los gehen. Doch es dauert noch lange, viele Stunden gehe ich Treppen auf und ab, plage mich mit Übelkeit und habe dauernd das Gefühl, jetzt, jetzt, jetzt kommt mein Sohn! Endlich, nach einem erbitterten Streit über meinem Bauch zwischen Arzt und Hebamme, ob ein Dammschnitt notwendig ist oder nicht, kommt das Köpfchen, der kleine wunderbare Körper, das schönste Wunder der Welt.
Erst am zweiten Tag bemerken die Ärztinnen, dass die Gesichtsfarbe auffällig ist, bläulich. Nach kurzer Beratung wird entschieden. Er wird nach Graz gebracht zur weiteren Untersuchung, nur der Vater darf mit, ich muss bleiben, es wäre zu gefährlich für mich. Der Schock macht mich regungslos. Mein Herz wird eiskalt, ein Stück davon gefriert und wird nie wieder warm. Warum lasse ich das zu, wieso füge ich mich einfach?? Erst am nächsten Tag rebelliere ich und fahre nach.
Transposition der großen Gefäße, so nennt sich die Besonderheit meines Sohnes. Die Gefäße des Herzens sind vertauscht, dadurch gibt es zwei voneinander getrennte Kreisläufe. Es ist wie ein Blitzschlag mitten durch meinen Körper. Ein weiteres Stück in mir gefriert. Niemand kann nachvollziehen, wie tief der Schmerz, die Sorge sich eingräbt. Am nächsten Tag wird ein Eingriff gemacht, der den Blutkreislauf bis zur geplanten Operation aufrecht erhält.
Viele Tage, Wochen geben wir ihm alle Liebe, die es in uns gibt. Wir halten ihn im Arm, wenn er nicht schlafen kann, tragen ihn herum im Zimmer mit dem alten knarrenden Parkettboden. Wie sehr ich diesen Boden hasse, weil dieser ihn oft wieder weckt, wenn er gerade nach langem Herumtragen eingeschlafen ist und ganz ganz vorsichtig in sein Bett gelegt wird. Es ist eine anstrengende Zeit, in jeder Hinsicht.
Vor der Operation sagt der Chirurg, die Chancen auf Überleben stehen 50:50. Ich spüre keinen Boden mehr unter meinen Füßen. Bodenlos. Gefühllos und Gefühlschaos zugleich. Wie tief geht es hinein in mein Herz, niemals zuvor hat mich etwas so tief getroffen, ist ein Pfeil so weit in mein Menschsein gedrungen. Ein großes Stück gefriert, bleibt leer und tot für immer.
Nach Stunden, die ich nie vergessen werde und nie wieder erleben möchte, die gute Nachricht. Mein Sohn lebt! Er kämpft, er will leben! Diese Völle in mir, diese Wonne, dieser Überschwang, dieses vollkommene Glück! Mein Herz füllt sich, das Universum öffnet sich, ich werde mit ihm überleben.
Totenstille und Überfülle, so nah beieinander. Eingebrannt für immer.
© Winnie 2021-06-27