Leere

Bettina Barth

von Bettina Barth

Story
Göttingen

Noch vor wenigen Wochen hatte ich Konrad ganz stolz gesagt, dass ich extra ein Handy mit in Therapie nehme, um mich auch wirklich nur auf die Therapie zu konzentrieren. Eines, mit dem ich nicht mehr machen kann als Telefonieren und SMS schreiben. Noch mit dem alten T9. In einem Second Hand Laden in der Innenstadt von Göttingen hatte ich einen alten Nokia Knochen gefunden, der noch genauso funktioniert wie am ersten Tag.

Jetzt, wo ich vier Wochen in der Therapie war, bereue ich die Entscheidung zutiefst. Nun sitze ich hier, ich mit meinen ach so tollen Prinzipien, habe so die Schnauze voll, nichts mit meinem Handy tun zu können außer Snake zu spielen. Und Menschen, mit denen ich telefonieren kann? Die wenigen Menschen in Göttingen, die mich besuchen durften, kamen eh fast täglich vorbei, besonders am Wochenende. Aber dieses Wochenende war mal wieder irgendein bescheuerter Feiertag und kaum einer war in der Stadt. Die Brückentage im Mai und Juni wurden gerne dafür genutzt, dass man mal eine ganze Woche Uni blau machte.

Wer sollte es schon meinen Freundinnen verübeln, dass sie das wunderschöne Wetter nutzen, um bei ihrer Familie zu sein? Natürlich sorgt diese Brückentage auch dafür, dass hier in der Therapie gar nichts ging. Denn auch die meisten vom Personal hatten frei. Ich könnte also zum fünften Mal um den Kiessee laufen, hatte mir sogar aus der Ergotherapie ein paar Projekte stibitzt, aber nach dem 15. Bild habe ich dann auch keine Lust mehr, den Pinsel zu schwingen.

Ein paar Leute sitzen in unserem Aufenthaltsraum, der ein bisschen wie eine Zeitkapsel in die siebziger Jahre aussieht und gucken Gärten der Welt auf Phoenix, gerade irgendwelche Barockgärten in italienischen Städten. Oder war es Renaissance? Ich werfe einen neugierigen Blick und stelle fest, dass die beiden Leute, die die Dokumentation angeschaltet haben, ruhig und selig auf jeweils einem Sofa ausgebreitet liegen und schlafen.

Unsere Station ist auch unglaublich leer, viele haben das verlängerte Wochenende genutzt und Urlaub beantragt. Im Grunde genommen sind nur Leute hier, wo die Familie zu weit weg ist, als dass man sie innerhalb von einem langen Wochenende besuchen könnte. Was bei mir ja durchaus der Fall ist. Eigentlich habe ich gerade das Gefühl, dass ich gut Fortschritte mache, aber an diesem Wochenende geht es mir irgendwie seltsam. Ich kann das auch nicht so richtig beschreiben. Was ist denn mit mir los, dass ich plötzlich nichts mehr mit mir anfangen kann?

Nervös sehe ich meine Nokia Knochen aus der Hosentasche. Vielleicht ist Konrad ja da? Vielleicht ist er dieses Wochenende nicht zu seiner Familie nach Leipzig gefahren? Ich hatte ihm schließlich kein genaues Datum genannt, wann ich mich melde. Und vielleicht war jetzt ein guter Zeitpunkt, ihn wieder zu sehen. Erschrocken stelle ich fest, dass mein Guthaben leer ist. Zum Glück gibt es unten im Erdgeschoss noch einen ganz altmodischen Telefonautomaten und ich hab auch noch etwas Kleingeld hier.

© Bettina Barth 2023-08-30

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Hoffnungsvoll, Reflektierend, Angespannt
Hashtags