Am liebsten wäre ich zu Hause geblieben und hätte mir die traurigsten TikToks angesehen, um Verbundenheit zu spüren – heute aber nicht. Jenna ließ diesmal keine Absage zu. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen. Jetzt steht unser erstes Wiedersehen an. Sie lockte mich mit einem Souvenir aus Kroatien, damit ich nicht absage. Ich hatte nicht mehr viele Freunde, wir hatten uns alle auseinandergelebt und verfolgten unterschiedliche Ziele im Leben. Grundsätzlich hatte ich das Gefühl, dass meine Freunde es hassten, keinen Partner zu haben. Ihr Kosmos drehte sich ununterbrochen um Jungs. Das war mir immer viel zu viel. Nicht allzu lange ist es her, da war ich bekannt dafür, unzählige Dates zu haben, teilweise vier bis fünf an einem Tag. Nach einiger Zeit knüpfte ich Bekanntschaften mit den Kellnern, die mich und die Männer bedienten. Eines Tages irritierte mich eine Aussage und ich änderte meine Vorgehensweise: „Dich sieht man nur mit unterschiedlichen Typen.“ Sahen mich die Menschen wirklich so? Wurde ich zur Schlampe der Stadt? Um dem aus dem Weg zu gehen, verabredete ich mich in anderen Städten. In Linz blieben mir Christian, Stefan, Davor und Emir erhalten. Patrick, Sebastian, Raul, Valentin und Eno disponierte ich nach Wien, der Rest war in Salzburg oder Innsbruck. Der Alltag hatte sich geändert und ich hatte mich verändert. Nun verfolgt mich die Angst, Freunde zu haben, die nur für Männer und deren Aufmerksamkeit leben. Deswegen distanzierte ich mich vom Großteil. Mein Handy vibrierte, ich schaute aufs Display: „Bin da, wo du?“, schrieb sie. „Komme!“ war meine Antwort. Ich packte schnell das Nötigste und verließ die Wohnung. Ich trug ein schwarzes Shirt mit offenem Rücken, eine blaue Jeans und Birkenstocks. Meine Füße waren in einem weichen, milchigen Weiß lackiert, passend zu den Händen. Die Wärme war sofort spürbar, während ich auf Jenna zuging. Sie fixierte mich mit ihrem Blick, und je näher ich ihr kam, desto mehr verschwand ihr großes, breites Grinsen. Ihre Mimik änderte sich komplett und ich sah Mitgefühl in ihren Augen. „Du siehst so anders aus. Ich weiß nicht …“, sagte sie und musterte mein Gesicht. „Dein Leuchten? Es ist weg.“ Welches Leuchten, fragte ich mich. Bin ich in ihren Augen eine Laterne? „So habe ich dich noch nie gesehen. Man merkt, dass es dir nicht gut geht. Deine Augen haben immer geleuchtet, nein, sie haben vor Glück und Liebe gebrannt. Aber jetzt ist da nichts mehr.“ Mein Blick wanderte nach oben und ich starrte in den Himmel, um meine Tränen zurückzuhalten. Ich wollte auf keinen Fall vor ihr weinen. So etwas mache ich nicht. Schlussendlich war ich ja immer die, die für alles eine Lösung hatte und jedem helfen wollte. Während ich in den Himmel starrte, versuchte ich souverän zu antworten: „Alles gut, es ist ni…“ „Lüg nicht!“, brüllte sie, ohne mich ausreden zu lassen. „Ist es wegen diesem Arschloch? Was hat er gemacht? Du musst mit jemandem reden. Dir geht es nicht gut. Aber ich will dich nicht zwingen.“ Jenna packte aus ihrer überdimensionalen Tasche etwas Weißes heraus. Anfangs konnte ich nicht erkennen, was es war. Ah, Muscheln und Perlen. Wie süß. „Für dich. Ich hoffe, du magst das.“. „Oh, danke! Richtig süß.“ Wenn Jenna doch nur wüsste, was mir dieses Armband bedeutet hat! Ich konnte keine Gefühle zeigen, sonst würde ein Damm in mir brechen und die Welt überfluten. Dieses kleine Zeichen der Aufmerksamkeit und Freundschaft bedeutete mir die Welt.
© Amber-Jenner Sloian 2025-06-17