Leeres Haus, kalte Stille

Daniel Berger

von Daniel Berger

Story

Das Haus ist ausgekühlt, Andreas hat das Wasser und die Heizung abgestellt. Ich muss in den Garten pinkeln, durch den Jägerzaun in den Wald (hinterm Haus). Die Pisse dampft, die Bäume sind nackt und schwarz, der Himmel ist bleiern. Andreas schließt die Tür auf, wir gehen rein. Im Flur ist es still. Der Geruch von früher ist noch da, mit ihm kehren viele Erinnerungen zurück. Doch dieses Haus ist nur noch eine Hülle, ein verlassenes Schneckenhaus.

Im Wohnzimmer steht noch immer die weiße Leseleuchte; die steht hier schon seit 20 Jahren, vielleicht länger. Im Regal thront die schmale Stereo-Anlage von Aiwa, mit «Super T-Bass», Dreifach-CD-Wechsler und Doppelkassettendeck. Es lief immer Musik aus einer heilen Welt. An der Wand hängt der riesige Teppich. Alles noch da, als wäre nichts gewesen. Auf dem Beistelltisch neben dem Sofa liegt ein College-Block. Auf dem karierten Papier sind die Positionen der Fernsehsender notiert: 1 = ARD, ZDF auf der Zwei, BR auf der Drei. Vor dem großen Fenster steht eine Kiste, in der sich ein altes Roulette-Spiel befindet. Schon als Kind habe ich damit gespielt und nie gewonnen, und die Kiste steht immer noch genau dort. Es hat sich nur wenig verändert in den vergangenen zwanzig Jahren. Nur kalt war es hier nie. Und niemals war es so still wie jetzt.

Früher war der Kommentator bis in den Garten zu hören. Es lief immer Tennis auf dem bauchigen Fernseher im Wohnzimmer und alle Türen standen offen. Es war warm, oft heiß. Als Kind war ich in den Sommerferien hier, immer zwei Wochen lang. Ich habe den Garten nur sattgrün in Erinnerung. Jetzt bin ich das erste Mal im Winter hier, in der schneidenden Kälte, in der ohrenbetäubenden Stille.

Wir gehen seine alten Sachen durch, stopfen seine bunten Hemden in Mülltüten, sortieren alte Unterlagen, werfen vieles weg. Andreas wirkt unruhig und nervös. In diesem Haus ist er groß geworden. Seine Mutter wurde früh Witwe und fand einen neuen Partner – meinen Großvater. Geheiratet haben sie nie. Nur zusammengelebt, dreißig Jahre lang, in diesem Haus (direkt am Wald). Sein Name hat nie auf dem Klingelschild gestanden.

Das warme Abendlicht flutet den Garten, die Sonne verschwindet langsam hinter den Bäumen. Mein Opa hat Ölfackeln in den Rasen gebohrt und zündet sie an. Wir tanzen um die kleinen Flammen, lachen und haben Spaß. Es ist eine unbeschwerte Zeit. Jetzt wird das Haus bald abgerissen. Alles platt, nichts mehr da. Der Geruch wird sich verflüchtigen. Es bleiben nur Erinnerungen.

© Daniel Berger 2021-03-26

Hashtags