leeres herz

Maria Schiekel

von Maria Schiekel

Story

Ich bin zerbrechlich, muss ich mir eingestehen, als ich auf meinen Glastisch starre, auf dem drei durchsichtige Beutelchen liegen. Ein Windstoß und ich liege am Boden. Ich ertrage mich selbst nicht und schleppe mich von Gefühl zu Gefühl. Ich stecke meine chemischen Begleiter, die mir gleich dabei helfen werden, in der Dunkelheit der Masse unantastbar zu sein, in meine Bauchtasche und mache mich ungeduldig auf den Weg zum nächsten Gefühl. Auf dem Fahrrad denke ich darüber nach, ob mein Outfit die richtige Wahl war, um mindestens eine Person davon überzeugen, dass ich genug bin. In der Schlange des Clubs warten bereits meine Freunde, die mir bei meiner Ankunft eine halbvolle Sektflasche in die Hand drücken. Ich leere sie in wenigen Schlucken. Das flüssige Gold stellt mich allerdings nicht lange zufrieden und ich will mehr. Ein Blick in die immer weniger strahlenden Gesichter meiner Freunde verrät mir, dass es ihnen genau so geht, weshalb wir uns nur wenige Augenblicke nach der Taschenkontrolle zu viert in einer Klokabine wiederfinden. Ich ziehe die drei Beutelchen aus meiner Socke und präsentiere sie stolz. Einer meiner Freunde legt sein Handy auf die Ablage über der Toilette, ein anderer spendiert zwei Karten. Ich schütte je eine kleine Menge Koks und Speed auf das schwarze Display und schiebe sie mit den Karten zu vier geraden Bahnen zusammen. Ich lasse den anderen den Vortritt und ziehe als letzte Energie und Selbstbewusstsein in Form von weißem Pulver mit einem kleinen silbernen Röhrchen erst in das eine, dann in das andere Nasenloch. Es brennt, aber nur für ein paar Sekunden, dann habe ich genug Spaß im Blut, der jeglichen Schmerz betäubt. Aufgeputscht begeben wir uns auf die Tanzfläche und ich kann nicht aufhören, meinen Körper ruckartig zur Musik zu bewegen. Es ist, als könnte ich jeden negativen Gedanken wegtanzen. Kein einziger Zweifel findet Platz in meinem Kopf, da ist nur Mut und Extase. Ich bin die Königin der Welt, aber nur solange, bis der Rausch mich verlässt. Ich neige zum Klammern und renne ihm nach. Ich schaue mich um und hole unauffällig den Beutel aus meiner Bauchtasche, der mit winzigen Kristallen gefüllt ist. Ich lecke meinen rechten Zeigefinger an, tunke ihn in die rosafarbene Substanz und stecke ihn mir in den Mund. Ich schlucke Endorphine, die ironischerweise bitter schmecken und mich erst mal kotzen lassen, bevor ich fliegen kann. Ich schätze, alles hat seinen Preis. Eine Stunde lang starre ich vor mich hin und versuche der aufkommenden Nervosität und den kreisenden Gedanken um die rastlose Suche nach Liebe zu entfliehen, bevor ich endlich bei mir ankomme. Das synthetische Glück breitet sich in meiner Brust aus und die Nacht wird mein vertrautes Zuhause. Ich schwebe in warmem Wasser und fühle mich verbunden mit jeder noch so fremden Person. Die Zeit schmilzt zu einem Brei aus weiteren Lines und der Angst vor dem Ende. Ich lege solange nach, bis ich nichts mehr spüre und den emotionalen Kater nicht mehr aufhalten kann. Er hängt mir Gewichte an die Gliedmaßen und raubt mir jeglichen Lebenssinn. Die Abwesenheit des Basses dröhnt in meinen Ohren. Ich will unter keinen Umständen allein sein. Mindestens genauso wenig will ich aber Gesellschaft, in der ich mich ohnehin einsam fühlen würde.

Ich frage mich, wie leer mein Herz sein muss, bevor es vertrocknet und zu Pulver zerfällt, das ich durch meine blutende Nase ziehen kann.

© Maria Schiekel 2023-06-15

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Dunkel, Emotional, Unbeschwert, Reflektierend
Hashtags