von kleinschreibung
Ich würde gerne über Liebe schreiben, aber das kann ich nicht, denn eigentlich weiß ich nicht mal, wie ich über Liebe denken soll, wenn ich das abseits der Lagerfeuer-Sternennacht Klischees tun will. Denn Fakt ist, dass wir alle solche Hollywood Nächte mehr oder weniger auch in Echt kennen, in denen der Himmel klar ist, das Feuer brennt, eine allgemeine Gelöstheit die Gefühle von Druck und Erwartungshaltung einen kurzen Moment lang verdrängt und alles irgendwie super ist und man sich so denkt aha ja, wenn jetzt noch Timothée Chalamet mit einem Rotwein und zwei Gläsern ankommt und ich vielleicht ein bisschen weißer wäre, dann könnten wir Stockfotos für heteronormative Romantik machen, endgeil also.
Aber statt Timothée Chalamet kommt eine generische Whatsappnachricht von irgendeinem über drei Ecken bekannten Dennis rein: sorry war nicht so gemeint, ich will dich zurück. Und bei „ich will“ habe ich sowieso immer diese harten Benimmbuch-Flashbacks und tippe mit Gewalt den Blockieren-Button, ehe ich, von allen guten Geistern verlassen, „erstmal heißt das: ich möchte“ tippen kann.
Generisch ist so eine Nachricht deshalb, weil sie so krass einstudiert ist, als hätte Dennis den Text auswendig gelernt, weil das diese go-to-Texte für solche Fälle sind, um nicht so sehr über die eigenen Gefühle nachzudenken. Über Liebe schreiben ist wie den mittleren Wortvorschlag auf der Handytastatur automatisch einfügen zu lassen. Scripted Reality und alle machen mit.
Genauso gibt es auch sehr klare Kriterien, in welchen Fällen wir von Romantik sprechen können und in welchen wir das nicht tun. Also so ein Sternenhimmel-Lagerfeuer-Abend mit Freund*innen und Alkohol kann ganz nice sein, aber solange er über kurz oder lang nicht im Austausch von körperlichen Intimitäten resultiert, ist er halt völlig irrelevant für die Beschreibung liebevoller Episoden. Wir können uns aber in sehr toxische gegenseitige Abhängigkeiten begeben, wo wir mit aggressiver Sprache unser Begehren äußern und das dann mit größtmöglicher Überzeugung Liebe und Romantik nennen. Deine Eifersucht ist so süß, Baby, so sehr hat mich noch niemand geliebt, hiermit gebe ich meine Existenzgrundlage als individuelles Wesen offiziell auf, bis dass der Tod uns scheidet.
Ich würde gerne über Liebe schreiben, ohne in diesen ganzen fertigen Konzepten zu denken und meinen Gefühlen direkt mit irgendeiner zum Erbrechen bemühten Formulierung vorzudiktieren, was sie zu bedeuten haben.
Aber das kann ich nicht. Ich kann nur ein Leerzeichen setzen, denn wo Raum ist, kann vielleicht etwas Neues entstehen –
Ich will nämlich kein scheiß Stockfoto sein.
© kleinschreibung 2021-10-21