von Beate-Luise
Eine Stadt, in der ich nichts und niemanden kenne, ist mein neuer Wohnort. Fünfhundert Kilometer trennen mich von meiner Heimatstadt Hamburg. Ich bin frisch verheiratet, aber fühle mich hier fremder als zuvor im Ausland. Was soll ich in Frankfurt bei den Sparkassenlümmeln?
Während ich die Stadt erkunde, stelle ich fest, dass die Volkshochschule ganz in der Nähe ist. Ich melde mich dort für einige Kurse an, um Leute kennenzulernen. Dabei kommt mir die Idee, den Bereich Deutsch als Fremdsprache aufzusuchen. Vielleicht suchen die ja gerade eine Dozentin? Frankfurt hat bekanntlich eine hohe Zuwanderungsrate. Gedacht, getan. Die Bereichsleiterin ist im Büro und zeigt Interesse. Bereits am folgenden Wochenende kann ich an einer Fortbildung teilnehmen und 2 Wochen später beginne ich mit dem Unterricht.
Ich begrüße 20 Teilnehmer aus der ehemaligen Sowjetunion, der Türkei, Tunesien, Marokko, Italien, Spanien, Portugal, Rumänien. Drei Marokkaner kommen nur einmal, dann nicht wieder.
Da ist auch Angela, eine italienische Ordensschwester aus Rom. Eine warmherzige, aufgeschlossene Frau im Habit, die eifrig lernt. Sie arbeitet in einem Laden, der Ikonen und christliche Bücher verkauft. Leider wird sie noch vor Kursende nach Rom zurückbeordert. Vorher lädt sie mich zum Tee ein. Sie hält meine Hand, während wir uns auf Italienisch unterhalten. „Hai un buon cuore, Beate, lo sento“, sagt sie, ich hätte ein gutes Herz. Und dass sie für mich und das Baby, das ich erwarte, beten werde. Zum Abschied umarmt sie mich und schenkt mir einen Rosenkranz mit blauen Perlen. Den habe ich noch immer.
Einige Jahre später sind wir mit Kind und Kegel zurück in Hamburg. Nach einigen Jobs in anderen Bereichen arbeite ich wieder als Dozentin in einem Intergrationszentrum mit ähnlicher Klientel wie in Frankfurt. Ich habe wunderbare Kolleginnen und einen tollen Kurs, den ich schnell ins Herz schließe, zumal ich nun täglich unterrichte. Darin etwa eine türkische Opernsängerin, ein Basketballspieler, ein junger Mann aus der Dom. Rep., der seiner Liebe gefolgt ist. Ein hübscher türkischer Schneider, der gut gelaunt seinem Namen (Deniz = Meer) mit dem schönsten Lächeln täglich Rechnung trägt. Ein etwas tumber Mann, der sich im Stakkato vorstellt: „Ih bin Ümit. Ih bin der Schusta!“ Der Spruch wird für die Co-Teacherin und mich zum geflügelten Pausenlacher. Meltem, eine Philosophiestudentin aus Istanbul mit dunkelgrünen Augen und traumhafter Altstimme. Dimitrij, ein kleiner mongolisch aussehender Mann aus Kasachstan, der leider auch nach dem 2. Kurs noch in Zweiwortsätzen spricht. Er ist wohl trotzdem etwas in mich verliebt – jedenfalls kommt er immer frisch parfümiert und legt mir manchmal Blumen aufs Pult. Alle sind einfach zauberhaft und machen schnell Fortschritte.
Außerdem bringen sie immer lecker Essen mit. In der Pause steht auch vor mir oft ein Teller mit duftenden Teigtaschen, Dolma, Blinis oder Köfte. Eine paradiesische Zeit!
© Beate-Luise 2020-05-27