Leib-Eigenschaften

Marielle Kreienborg

von Marielle Kreienborg

Story

Sie denken, dass sie dich besitzen. Dir fünfzehn Euro zahlen die Stunde und demnach über dich verfügen. Nicht bloß über deine Hände, über deinen Leib. Drei Tage lang, neun Stunden.

Sie denken, man kann dich kaufen. So wie man Essen kauft und Sex, Liebe und Autos. Sie sagen Sex und Essen und Liebe und Autos, aber eigentlich meinen sie das ephemere Gefühl, einen kurzen Augenblick ein wenig weniger allein zu sein. Es hält nie an. Sie brauchen mehr Zeit. Und sie kaufen, an gegen diese Einsamkeit, gegen das Drücken im Hinterkopf: klein, fragil, bedeutungslos.

Auch mich kann man kaufen. Drei Tage lang werde ich gepflegt erscheinen und lächeln auf Kommando. Ich werde dir in die Augen schauen, dir das Gefühl geben, da zu sein. Kein Mensch. Ein Mann. Mit Haut und Haar. Ich werde dir Kaffee servieren, Espresso, fragen, ob du Zucker magst. Du wirst sagen: „Nein. Ich nehme ihn schwarz, wie die Zähne meiner Oma“ und ich werde lachen, auch wenn dein Witz recht fade war.

Dein Chef belohnt deine Bereitschaft, zweihundertfünfzig Tage im Jahr ein abgerichteter Knecht zu sein, mit drei Tagen König. Dafür schaue ich dir in die Augen, lächle. Sage „Bitte“, du sagst „Danke.“ Manchmal. Ich schenke dir Wein ein, Wein nach und serviere, rund um die Uhr, obschon ich selber Hunger hab. Ob ich auch was zu essen kriege, hast du dich das je gefragt? „Lecker, was“, sagst du und ich lächle und sage „Ja“, obwohl ich nichts probieren darf. „Noch etwas Wein?“ Das gefällt dir. Du magst Frauen, die sich um dich kümmern. Sie erinnern dich an Mama. Nur dass Mama keinen Körper hat. Ich schon. Mama hat einen Körper, du siehst ihn bloß nicht. Willst ihn nicht sehen. Mütter sind Masse. Dir gefällt, dass ich die Fremde bin, aus einem schonungslosen Land, unterkühlt, herrschsüchtig, gemein und dennoch deine Sprache spreche. Globalisierung. Du bist in der Fremde und es fühlt sich nicht so an. Die Welt beugt sich, nach deinem Willen. Du stellst dir vor, wie ich mich beuge. Deutsche Mädchen, schießt es dir durch den Kopf, müssen knallhart sein im Bett, erbarmungslos.

Du magst, dass ich dir das Gefühl vermittele, wichtig zu sein. Deine Frau sieht dich nicht seit 1997. Wenn sich eure Blicke kreuzen, liest du Versager in ihrer Iris. Versteh mich nicht falsch, ob du ein netter Kerl bist oder ein Schwein, ist für mich einerlei. Ich werde dafür bezahlt, zuvorkommend zu sein. Dein Chef hat sich mein Interesse erkauft. Geborgt sollte ich ehrlicherweise sagen. Deine Zeit ist knapp. Sie läuft ab, noch während wir reden. Noch zwei Tage und du wirst wieder niemand sein. Ungesehen. Unerkannt. Wenn jemand fragt, ob du im Raum warst, kann sich keiner erinnern. Doch jetzt gerade bist du wer. Das kann dir keiner. Ich gucke dich an und lächle und als mein Blick deinen trifft und eine Sekunde länger ausharrt als nötig, redest du dir ein, mein Wohlwollen sei echt. Und während ich dich angucke und denke: Du arme Sau, was esse ich heute zu Abend, denkst du, dass das alles hier mit Macht und Geld nicht das Geringste zu tun hat.

© Marielle Kreienborg 2021-02-23

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