von Alice_Spring
Atmen, Laura. Vergiss nicht zu atmen.
»Es läuft hervorragend! Wir haben schon mehr als sechzig Prozent der Unternehmen mit ins Boot holen können, die ich bereits lange im Blick hatte. Ohne Ihre großartige Kompetenz und Ihren endlosen Charme wären die Gespräche nur halb so gut verlaufen«, schwärmte Mr. Boltheim und küsste überschwänglich meinen Handrücken.
Durch den Arbeitsstress der letzten Monate, hatte er deutlich an Gewicht verloren, weshalb sein Smoking etwas zu groß ausfiel, doch das grau-melierte Haar und seine sündhaft teure Armbanduhr ließen ihn am heutigen Abend problemlos als erfolgreichen Businessmann durchgehen.
Zum fünften Mal stand die pulsierende Hauptstadt ganz im Zeichen eines einzigartigen Sommernachtsballs auf dem kleinen, zentral gelegenen Schloss Le château des rêves. Zwischen Champagner und Kaviar verhandelten Menschen, bekannt aus Film und Fernsehen, neue Projekte, mit hochkarätiger Prominenz. Mr. Boltheim wollte sowohl für den Ticketverkauf als auch für die Ausrichtung kommender Events verantwortlich sein und befand sich auf unermüdlicher Suche nach neuen Vertragspartnern, um seine Event GmbH in den Olymp zu katapultieren.
»Miss Reese … Sie wirken den ganzen Abend schon so blass. Falls Sie eine Pause benötigen …«
Er war immer schon gut zu mir gewesen. Wie hatte ich je mit dem Gedanken spielen können, seine Firma zu verlassen? Ich hatte sogar versucht, ihm eine meiner beiden Kolleginnen Carry oder Baily als heutige Unterstützung – an einem der wichtigsten Abende der Event- und Kulturbranche Washingtons – zur Seite zu stellen. Dabei verließ Mr. Boltheim sich oft nur auf meine Meinung und Intuition, da er dazu neigte, ein kleiner Chaot zu sein. Mittlerweile fiel mir mein Job deutlich schwerer, als noch vor ein paar Monaten. Doch, ich wollte meinen Chef nicht im Stich lassen, weshalb ich mein Schauspiel aufrechterhalten musste, damit er nicht bemerkte, dass ich mich in meiner engen goldfarbenen Satinrobe und mit meinem hochgesteckten haselnussbraunen Haar wie ein Fremdkörper fühlte.
»Mir geht es gut«, beteuerte ich, während er mich zu unserem letzten Verhandlungspartner des heutigen Abends führte.
»Guten Abend, meine Herren. Darf ich vorstellen? Meine zauberhafte Assistentin, Miss Reese.« Ich bog um eine der vielen Marmorsäulen und erstarrte. »Miss Reese, das ist Mr. Thomas May. Verleger und Literaturagent. Und sein bestes Pferd im Stall. Mr. Jamie Garvener. Bestsellerautor.«
Dort stand der Mann, dessen Leben im Chaos versank, gekleidet in einen maßgeschneiderten schwarzen Smoking, der Hemdkragen leicht geöffnet, so als wäre alles in bester Ordnung. Er entdeckte mich, während er gerade aus seinem Champagnerglas trank und sich beinahe daran verschluckte.
»Sein neues Buch ist zwar gerade erst in der Entstehung, allerdings wurden bereits sämtliche Filmrechte erworben«, berichtete Mr. May und reichte mir seine Hand.
»Und wir würden uns sehr darüber freuen, VIP-Tickets für die zukünftige Premiere zu verkaufen«, ergänzte Mr. Boltheim.
Ohne darauf einzugehen, entschuldigte ich mich und machte kehrt, bevor Mr. Garvener über meinen Besuch in seinen vier Wänden zu erzählen begann, als ich mich mit einem Mal in einer gewaltigen Menschentraube befand.
© Alice_Spring 2024-12-29