Der kalte Nachtwind blies mir meine Haare aus dem Gesicht, als ich mich vergewisserte, dass ich tatsächlich vor dem Mitternachtscafé stand.
Ich verglich die auf den Zettel in meiner Hand gekritzelte Adresse mit dem Standort auf meinem Smartphone. Die Farbe war von den hölzernen Rahmen abgeblättert und ein Schild mit dem Namen des Cafés suchte man vergeblich. Durch die großen Fenster konnte ich einen Blick in das karge Innere werfen. Auch die Inneneinrichtung schien alt und abgenutzt. Es gab keine Bilder, keine Blumen, keine Farbe. Alles war in einem monotonen Grau gehalten.
Eine Glocke klingelte leise, als ich die Tür aufdrückte und eintrat. Das Café war, bis auf einen Barista, der hinter dem Tresen stand und eine Tasse abtrocknete, komplett leer. Er blickte auf und musterte mich herablassend mit seinen kühlen, blauen Augen.
Zögerlich öffnete ich den Mund. Er schnitt mir jedoch augenblicklich das Wort ab.
»Wir bedienen deinesgleichen nicht.«
»Meinesgleichen?«, wiederholte ich perplex.
»Geh einfach wieder«, erwiderte er grimmig.
»Dimitri!«, ermahnte ihn eine strenge Stimme aus dem Hintergrund. »So kannst du doch nicht mit einem Gast reden.«
Der Barista mit den blauen Augen, der auf den Namen Dimitri zu hören schien, funkelte mich feindselig an, als ein Mann mit langen, silberblonden Haaren schwebenden Schrittes aus einem Nebenraum geeilt kam. Er war auffällig blass. So blass, als hätte seine Haut noch nie die Sonne gesehen.
»Willkommen!« Er schenkte mir ein warmes Lächeln und musterte mich durch die Gläser seiner halbmondförmigen Brille. »Mein Name ist Leif. Ich bin der Besitzer dieses Cafés. Wie kann ich dir helfen?«
»Hier soll eine Stelle als Barista frei geworden sein. Ich möchte mich gerne darauf bewerben«, sagte ich bestimmt.
»Wie schön, du bist eingestellt.« Er klatschte freudig in die Hände. »Es spielt keine Rolle, ob du bereits Erfahrungen im Zubereiten von Kaffeespezialitäten oder bedienen von Gästen hast. Wir bringen dir alles bei, was du wissen musst«, erklärte er.
»Das ist toll«, erwiderte ich überrascht. Mein Blick wanderte zu Dimitri, der sich von uns abgewandt hatte und verständnislos den Kopf schüttelte.
»Was die Bezahlung anbelangt … die Gerüchte besagen …«, setzte ich an und Leif lachte auf.
»… dass die Baristas hier nicht mit Geld bezahlt werden, sondern einen Wunsch frei haben«, beendete er meinen Satz, so als hätte er diese Konversation bereits etliche Male geführt. »Das stimmt. Wir schließen einen Vertrag und ich werde dir deinen Wunsch erfüllen.«
»Ganz egal, was ich mir wünsche?«
»So ist es«, sagte er nickend. »Ich hole Stift und Papier.«
Leif verschwand im Nebenzimmer, als Dimitri sich erneut an mich wandte. »Egal, was du dir wünschen willst, das ist es nicht wert.«
Er schenkte mir einen warnenden Blick, doch noch bevor ich fragen konnte, was er damit meinte, war Leif wieder zurück und legte mehrere Seiten bedrucktes Papier auf den Tresen. Hinter seinem Rücken nickte Dimitri eindringlich in Richtung Tür, doch als Leif mir einen Stift reichte, griff ich entschlossen danach.
© Annabelle Krajewski 2024-03-20