Lethargia

Elena Elwitschger

von Elena Elwitschger

Story

Er saß vor seinem Laptop und machte – nichts. Er hatte ihn einfach gestartet, aus einer Art Gewohnheit vielleicht. Er wollte eigentlich etwas Sinnvolles tun, seine Zeit nicht weiter verplempern mit Serienschauen oder Ähnlichem. Doch sein Kopf war leer für alle anderen Dinge, ihm fiel und fiel nichts ein, was er tun konnte. Es war wie verhext und in seinem Bauch staute sich eine unglaubliche Wut auf – doch das änderte nichts daran, dass ihm nichts einfiel. Sein Kopf blieb leer. Er fühlte sich … wie nennt man das noch? Lethargisch! Er googelte „Lethargie“. Google spuckte folgende Infos zur Etymologie aus: Stammt vom griechischen Ausdruck lḗthargos, was so viel heißt wie „Durch Vergesslichkeit untätig oder träge“. Er fand, dass das ziemlich passend war für seine derzeitige Situation. Er fühlte sich tatsächlich untätig und träge, und das, weil in seinem Gehirn Stille herrschte und ihm keine Beschäftigung einfallen wollte, die ihn aus dieser sinnlosen Untätigkeit herausholen konnte. Das Finden eines passenden Ausdrucks für sein Unwohlsein half ihm jedoch kein bisschen weiter – immer noch saß er herum und tat weiter nichts.

Schon dachte er wieder daran, den Fernseher oder Netflix aufzudrehen, um sich von einer Serie berieseln zu lassen. Hinterher würde er sich schlechter fühlen als jetzt, doch zumindest würde die Leere gefüllt werden und die Wut im Bauch verschwinden. Für eine Weile jedenfalls. Es ist doch verrückt, dachte er bei sich. Ich schaue viel lieber anderen zu, wie sie in einer Fantasiewelt leben, die meistens sogar alles andere als perfekt ist – ja, ich beneide sie sogar darum -, als dass ich selbst mein Leben lebe. Es gibt doch viele Dinge, so dachte er weiter, die ich mag, die ich gerne tue und die auch Sinn machen. Warum in aller Welt schaue ich dann hier noch in die Glotze rein und denke über Dinge nach, die nur in einer erfundenen Welt stattfinden? Er klickte zurück zum offenen Tab zur Suche nach „Lethargie“. „Substantiviert schlummerähnlicher Zustand, Schlafsucht, lethargisches Fieber“ stand da noch. Genau. Richtig. Er fühlte sich wirklich, als würde er schlafen, als wäre er in eine Art Trance. Doch wie wache ich auf?, fragte er sich. Wie kann ich dieses lethargische Fieber wieder loswerden? Er fühlte sich plötzlich tatsächlich wie im Fieber, wie durch eine schwere Krankheit belastet, erschöpft. Doch was hilft gegen ein Fieber, das nicht am Thermometer festgestellt werden kann? Wie wacht man auf, wenn man doch gar nicht schläft? Und die Wut kehrte zurück. Die Wut über die Ohnmacht. Er wollte sie zerschlagen, sich gegen sie wehren – Lethargia! Dir wird heute noch der Kampf angesagt!

Und er holt sich Stift und Papier und schrieb und schrieb und schrieb sich die Finger wund, schrieb sich das Fieber von der Seele und auf das Papier, das vor ihm lag.

Er atmete tief ein und wieder aus. Fühlte sich frei, fühlte sich sinnvoll. Heute hatte er sie besiegt. Doch er wusste, sie würde wiederkommen und sein Kampf würde so schwer wie heute auch. Doch der Sieg gab ihm Hoffnung, die wollte er sich bewahren. Auch wenn sie ihm schon drohte, entrissen zu werden.

© Elena Elwitschger 2023-11-28

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Emotional, Hoffnungsvoll