Let’s talk about ablaut, baby (2)

Sonja M. Winkler

von Sonja M. Winkler

Story

Auch im Lateinischen weisen wurzelverwandte Wörter unterschiedliche Stammvokale auf. Wir finden etwa in tēctum ein langes -ē- (aus idg. *tēg-t-) „Dach, Zimmerdecke“, aber in toga ein kurzes -o-. Dieses Nebeneinander von idg. *tēg- und *tog- beruht auf dem Ablaut.

Man unterscheidet zwischen 2 Arten des Ablauts:

1. Der Wurzelvokal verändert sich qualitativ. Aus dem Wurzelvokal der Vollstufe, hier ein indogermanisches -e-, wird ein -o-. Man nennt das Abtönung.

2. Der Wurzelvokal der Vollstufe verändert sich quantitativ. Idg. -e- wird zu einem langen -ē- gedehnt. -ē- wäre demnach die Dehnstufe. Auch kann -e- zu -ō- abgetönt und gedehnt werden, dann sprechen wir von der abgetönten Dehnstufe. Letztendlich kann ein -e- auch schwinden. Das ergäbe die Schwundstufe.

Wir nehmen die erschlossene Wurzel *teg-, die uns in lateinisch tegere „(zu)decken, bedecken“ begegnet. Die abgetönte Vollstufe *tog- bestaunen wir im Obergewand der Römer, der Toga. Ebenfalls aus *tog- entwickelt sich ganz lautgesetzlich (siehe * am Ende des Textes) über germanisch *Þak- unser „Dach“.

Altenglisch þæc führt uns zu den strohbedeckten Häusern in England, houses with a thatched roof. Der Wortschatz der Indogermanen verrät uns einiges: Sie waren keine Nomaden, sondern hatten ein festes Dach überm Kopf, betrieben Ackerbau (ager – Acker) und Viehzucht (pecus – Vieh – fee) und brannten Ziegel.

Die Dehnstufe *tēg- deckt als tēgula „Dachziegel“ das Dach. Das Wort hetzt sich ab und schafft es, noch knapp vor der 2. Lautverschiebung zu uns zu kommen. So wird tēgula zu althochdeutsch ziagal verschoben. Das lateinische Etymon entwickelt sich zu italienisch tegola und französisch tuile „Dachziegel“. Vulgärlateinisch tegula (mit kurzem -e-!) bildet die Ausgangsform für altenglisch tigel(e) „Topf, irdenes Gefäß aus gebranntem Ton, aber auch Dachplatte“. Heute verfliest man mit tiles das Bad. Unser Tiegel ist jüngeren Datums. Er ist kein Marathonläufer wie der Ziegel, sondern erreicht uns erst, als der Lautwandel -t- zu -z- (2. Lautverschiebung) nicht mehr aktiv war.

Unsere Entdeckungsreise ist zu Ende. Die Wurzel *teg- hätten wir unter Dach und Fach gebracht. Jetzt seid ihr dran mit dem Aufdecken.

Ich decke dann den Tisch und erfreue mich an Großmutters Blümchenporzellan. Apropos, über Porzellan gäb’s auch einiges zu erzählen.

* Die 1. oder germanische Lautverschiebung verschiebt -t- zu -Þ-, -g- zu -k-, und -o- wird spontan zu -a-. Der thorn-Laut erscheint althochdeutsch als -d-, und -k- wird in der 2. Lautschiebung verschoben zu -ch-.

© Sonja M. Winkler 2022-01-13

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