Letzte Fahrt nach Karawukowo

Hannes Stuber

von Hannes Stuber

Story

2019

Hans war neunzig Jahre alt, als wir zum letzten Mal in sein in Serbien gelegenes donauschwäbisches Heimatdorf fuhren, aus dem er 75 Jahre zuvor flüchten musste. Seit den Sechziger Jahren, als er das erste Auto kaufte, hatte er seine Heimat immer wieder besucht, sie war seine vergangene heile Welt, und er wusste, diesmal würde es das letzte Mal sein, dass er sie wiedersah.

Wir fuhren auf der ungarischen Autobahn zur serbischen Grenze. Meine Tochter Chiara, sechsundzwanzig Lenze zählend, begleitete uns. Sie kannte ihren Großvater kaum, er hatte sich nie um seine Enkelkinder gekümmert. So war sie interessiert, ihn etwas näher kennenzulernen. In Apatin suchten wir das Hotel Zlatna Kruna, romantisch am Donauufer gelegen, wo wir essen und übernachten wollten. Wir fanden es nicht, landeten aber inmitten eines großen heruntergekommenen Zigeunerviertels. Man hatte Decken statt Haustüren, Wellblech auf den Dächern, zerlumpte Kinder spielten auf der kaputten Straße, bedrohlich blickende Männer lungerten an den Kreuzungen herum.

Endlich fanden wir das Hotel und nahmen drei Zimmer. Jeden der nächsten drei Tage fuhren wir nach Karawukowo, das Heimatdorf meines Vaters. Eine Tiefebene, Lehmboden, keine Steine. Ein Ort mit quadratisch angelegten Straßen, verfallenen oder steinalten Häusern zwischen neuen Bauernhäusern, ein paar kleinen Geschäften. Viel gab es nicht zu sehen, nach dem man Heimweh haben konnte, außer nach einem bestimmten Gefühl aus der Kindheit. Die Kirche der Katholiken war ein Taubenhaus, das Tor stand offen, die Fenster waren eingeschlagen, alles geplündert. Am Ortsrand stand eine orthodoxe Kirche, im Rohbau, unfertig.

Der Vater zeigte mir ein kleines verlassenes Lehmhaus mit blinden Fenstern, es war das meines Urgroßvaters Fidel Schwaiss, den ich als Kind noch kennengelernt hatte, den Alten mit der großen Deckel-Pfeife. Verwildert war der alte Friedhof, größtenteils aus hohem Gestrüpp bestehend. Wir kämpften uns durch Zweige und Dornen zum Grab eines anderen Urgroßvaters, Georg, der als Kriegszitterer aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war.

Am Heimweg fuhren wir über Kroatien und machten in Osijek Halt, nahmen drei Zimmer im Hotel Waldinger. Dessen Frühstücksraum befand sich im ersten Stock. Hans war seit Jahren etwas schwach auf den Beinen. Am Morgen die Treppe hinauf, das ging noch. Es fehlten noch einige Meter bis zum Kaffeeraum, aber auf diesem Weg gab es unter dem roten Teppich eine einzelne Stufe, die er übersah. Er stürzte und fiel der Länge nach aufs Gesicht.

Sein Arm schmerzte. Die Rettung wurde gerufen. Hans wollte nicht ins kroatische Krankenhaus, er bekam Schmerzmittel. Ich fuhr ihn vorsichtig heim, er lag auf den Rücksitzen. Im Wiener AKH stellte man fest, dass das Oberarmgelenk gebrochen war. Dann bekam er im Spital eine Lungenentzündung wegen Legionellen. Vom Armbruch, der Pneumonia sowie einer Nierenentzündung, die er noch bekam, konnte er sich nicht mehr erholen und starb bald danach.

© Hannes Stuber 2019-10-24

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