von Anton Christ
Nicht schon wieder. Jeden Montagmorgen dasselbe. Das schrille Klingeln meines Weckers riss mich aus meinem Fantasieland, meinem einzigen Zufluchtsort. Dennoch musste ich nun mein mollig warmes Bett verlassen. Manchmal versuchte ich, mich mit einer kalten Dusche wachzurĂŒtteln, doch die Angst vor der Schule und ihrem ausgrenzenden System, dessen Opfer ich war, ĂŒberwĂ€ltigte mich. Es half nie; meistens fĂŒhlte ich mich nur noch miserabler, also verzichtete ich heute darauf. Schnell zwang ich mir etwas MĂŒsli hinunter, machte mich fertig, verabschiedete meine Mutter und ging hinaus. Niemand begleitete mich zur Schule. Ich lief los, und je nĂ€her ich der Schule kam, desto mehr Menschen sah ich. Alle beĂ€ugten mich, ich war ein Hassobjekt, ohne zu verstehen, warum. Doch immer trifft es jemanden. Ihre entsetzlichen Blicke trieben mich beinahe in den Wahnsinn, es war lange her als ich das letzte mal ein Licht am Ende des Tunnels sah. Egal, immer weiter ins Klassenzimmer. Ich starrte wie immer an die Wand und hörte den Menschen zu, wie sie lĂ€sterten und ihren alltĂ€glichen PopularitĂ€tskampf austrugen. Im ersten Block hatten wir Mathematik. Ich meldete mich nie, auĂer wenn der Lehrer meine Abwesenheit erkannte und eine Blamage drohte. Zum GlĂŒck verliefen diese beiden Stunden reibungslos. In der Pause versteckte ich mich auf der Schultoilette, vermied jeden Kontakt mit einem âSchikaniererâ. Als Abschreckung trug ich ein kleines Taschenmesser bei mir, fĂŒr den Fall, dass die Situation eskalieren sollte. Mit meinem neu gefundenen Weg, auf dem mich niemand sah, eilte ich als Erstes zum Klassenraum. Geschichte stand auf dem Stundenplan, das einzige Fach, in dem ich manchmal einfachste Fragen beantwortete. Die Klasse fĂŒllte sich, der Lehrer trat ein. Mit einem unmotivierten âWir behandeln heute die Entdeckung Amerikasâ eröffnete er die Stunde und befestigte eine Landkarte an der Tafel. âKannst du mir sagen, wo Amerika liegt?â fragte der Lehrer. Es brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass ich gemeint war. Ich zuckte zusammen, spĂŒrte das fiese LĂ€cheln meines Banknachbarn und das der anderen. Ich hatte einfach keine Rolle in dieser Welt, wurde von niemandem akzeptiert, das Leben schien sinnlos. Alle warteten darauf, dass ich mich blamierte. Doch nicht dieses Mal. Mit zitterndem Finger ging ich nach vorne und deutete auf den Kontinent. âSetz dichâ, befahl mir der Lehrer, und ich gehorchte. âEin besonderer Mann entdeckte Amerika. WeiĂ hier jemand, wer dieser Mann war?â Das war einfach, dachte ich und ĂŒberlegte, mich zu melden. Doch dann hörte ich jemanden rufen. Ich wollte nicht verstehen, aber die anderen stiegen ein, der Lehrer schrie dagegen an und bat sie, aufzuhören. Dann wurde es mir bewusst. Sie riefen meinen Namen. Die Welle des Schalls rollte wie eine Lawine ĂŒber mich, mir wurde schwindelig. Die Stimmen hörten nicht auf, die Welt vor meinen Augen wurde immer röter. Ich war nicht mehr Ă€ngstlich sondern spĂŒrte nur noch eine AggressivitĂ€t gepaart mit FĂŒhllosigkeit: Plötzlich war mir alles egal. Meine Menschenverstand versagte, mein Körper sprang automatisch auf. Mein Leben war lĂ€ngst ruiniert, zerstört von Menschen. Ich sehnte mich danach, sie loszuwerden. Das letzte, was ich sah bevor mein vorheriges grauenvolles Leben an meinen Augen vorbeizog, war die Klinge meines Messers, die aufsprang. Endlich hatte ich meine Angst ĂŒberwunden, und ein Licht erschien am Ende des Tunnels.
© Anton Christ 2024-05-01