Lichtertanz

Jacqueline Licher

von Jacqueline Licher

Story

Es rĂŒttelte und es schĂŒttelte. Es flimmerte und es knisterte.

Sie, in einem funkelndem weißen Kleid, hatte die Haare fest zu einem Dutt zusammengebunden. Eine zierliche Ballerina zum Aufziehen. Es war eine eigene kleine Welt, welche Bella sich aufgebaut hatte. An einem dunkleren Tag im November, vor vielen Jahren. Eine Schneekugel, welche zwar aussah wie eine, aber keinen Schnee mehr zaubern konnte. Kalt war es dennoch in ihrem runden Zuhause.

Der Schnee wirbelte nicht, er wirkte angeklebt, als hĂ€tte man ihn festgedrĂŒckt. Die Melodie war verklungen, es herrschte eisige Stille. Tag fĂŒr Tag hockte sie in ihrer Kugel und schaute gar nicht hinaus. Alles, was sich bei ihr befand, war ein kleiner Tannenbaum, der eine flimmernde Lichterkette trug. Sie saß auf einer braunen Holzbank, welche so riesig war, dass sie sich darauf verloren vorkam.

Tanzen konnte sie nicht mehr. Ihre FĂŒĂŸe erinnerten sich nicht, wie es funktionierte. Sie stolperte im Dunkeln und konnte sich an keine Choreografie erinnern. Ebenso kam kein Ton, der sie dazu aufforderte, ihre Pirouetten zu drehen. Aber ihre Gedanken drehten sich und Bella verzweifelte.

Sie schrie mit letzter Kraft: „Wo bist du? Hast du mich vergessen? Ich brauche das Licht!“

Annabell, ein kleines MĂ€dchen, stellte zu jeder Weihnachtszeit eine Schneekugel auf ihre Kommode. Doch dieses Jahr wartete Bella schon lange darauf, dass sie kommen wĂŒrde, um den Karton zu öffnen und sie samt ihrer Welt ins Licht zu tragen. Annabell wĂŒrde es schneien lassen und die Lichter anknipsen. Sie wĂŒrde dafĂŒr sorgen, die Dunkelheit zu vertreiben. Mehrere Wochen vergingen, und Bella hatte das GefĂŒhl, dass der Winter an ihr vorbeiziehen wĂŒrde. Sie legte sich in den weichen Schnee und fiel in einen tiefen Schlaf.

Annabell war ĂŒber den Winter mit ihrer Familie in den SĂŒden verreist und kam erst kurz vor dem Weihnachtsfest zurĂŒck. Ihre Mutter erinnerte sie daran, die Weihnachtsfestdekoration aus dem Keller heraufzuholen.

Bella lag immer noch regungslos in ihrer Kugel und tanzte nicht. Sie schlief einfach nur. Man geht nicht ins Licht, wenn man die Dunkelheit fĂŒrchten muss.

Annabell erschrak, als sie ihren Weihnachtskarton öffnete: „Mama, schau schnell!“ Die Mutter kam sofort zu ihrer Tochter und entstaubte die Schneekugel. Sie wechselte die Batterien und schraubte die Kugel auf, um die Ballerina zurĂŒck auf ihre Tanzposition zu stellen. Bella blinzelte, öffnete ihre Augen und bemerkte, dass es in ihr drin heller wurde. Annabell schĂŒttelte die Kugel und der Schnee schenkte Bella ein StĂŒck der Helligkeit, die sie schon lĂ€ngst vergessen hatte. Sie tanzte zu einer Melodie, an welche sich ihr Herz sofort erinnern konnte. Mitten in ihrer kleinen Welt.

Eine Welt voller Magie. GefĂŒllt mit Melodie, Licht und Bewegung.

Annabell nahm ihre Schneekugel in die HĂ€nde, schĂŒttelte sie sanft und flĂŒsterte dabei: „Vielleicht wird es nie mehr so hell werden wie zuvor, aber es bleibt auch nicht fĂŒr immer so dunkel.“

© Jacqueline Licher 2021-11-29

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