von Sonja M. Winkler
Das Weiche und das Harte, das Glatte und das Raue. Ertasten. Spürsinn. Zieht ein in die Haut. Und legt sich auf die Seele.
Ich bin in einem Haushalt groß geworden, wo es immer Berge von Stoffen gab, in denen ich wühlen konnte. Meine Mutter war Schneiderin. Ich sehe ihn vor mir, diesen Griff, wie sie den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger nimmt und treffsicher sagt: Seide, Georgette, Chiffon. Ich bewunderte sie wegen der Wörter, die so abseits des Alltäglichen waren. Meine Mutter erzählte mir, dass ich, kaum hab‘ ich gehen können, eine Riesenfreude hatte, bunte Stoffreste in die Griffe von Schlüsseln zu stecken, an denen keine Quasten baumelten.
Später im Leben: Ob Seidenmalerei oder Nadelfilzen, Kopf-Arbeit braucht als Ausgleich immer Hand-Arbeit.
Mit dem Daumen den noch feuchten, fein schamottierten Ton glatt streifen, die Augen geschlossen, bis keine Unebenheiten mehr spürbar sind. Kneten und drücken. Die Fugen mit breiigem Schlicker füllen. Das Tun, ein Hochgenuss.
Die Gutenachtgeschichte, die ich mir für meinen Sohn ausgedacht hatte, war fertig erzählt, das Mäuschen hat Unterschlupf gefunden und den Tiger spielend abgehängt. Meinem Kleinen waren während der Verfolgungsjagd bereits die Augen zugefallen. Ich knipste das Licht aus. In der Küche wartete ein Klumpen Ton auf mich.
In dieser Zeit entstand eine Reihe von Masken. Angstverzerrte Fratzen. Eifersucht, Wut. Ein Clown, der lacht. Verborgene Seiten meiner selbst, die jetzt, in Zeitungspapier verpackt, im Keller lagern.
Wir zogen um. In der neuen Umgebung war weit und breit kein Keramikgeschäft zu finden, wo ich meine Sachen für den Schrüh- und Glasurbrand hätte hinbringen können. So verlor ich die Lust am Töpfern.
Und verfiel auf Glas. Die Arbeit mit Glas würde mir etwas abverlangen, das ich nicht zu besitzen glaubte. Geduld und eine ruhige Hand. Das Material ist spröde. Und zerbrechlich. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Eine Freundin schenkte mir zum Geburtstag ein bunt bebildertes Buch über Tiffany-Kunst.
Ich belegte einen Kurs an der Volkshochschule Lazarettgasse. Aller Anfang ist schwer. Wir übten mit billigem Fensterglas. Glatte, gerade Schnitte. Dann wogende Wellen. Schließlich tangentiale Annäherung an die Kreisform. Man braucht Geschick, Gelassenheit und ein gutes Auge. Nicht zu vergessen: einen langen Atem.
Wenn die Sehnsucht groß ist, schneidet sie auch buntes Glas. Und schleift die scharfen Kanten.
Ich lernte alles, was nötig war: die 3 Millimeter schmale Kupferfolie anbringen, mit dem Lötkolben umgehen, die Glasteile mit Lötzinn zusammenfügen. Trotz vieler Schnitt- und Brandwunden war ich einen Sommer nach dem andern Gast bei Tiffany. Das Jahr über sammelte ich buntes Glas und hortete es in Schuhschachteln.
Mein ganzer Stolz ist ein Lampenschirm. Er brachte Farbe in mein Leben. Vor allem aber weiß er um das Dunkle und kann es erhellen.
© Sonja M. Winkler 2020-11-30