Liebe auf den zweiten Blick

Lia Pipa

von Lia Pipa

Story

FrĂŒher war zusammenkommen einfach. Als hormongeschwĂ€ngerte Jugendliche ist man erstens weniger wĂ€hlerisch und hat zweitens nahezu keine AnsprĂŒche. Er hat dir die Haare beim Kotzen gehalten? Was fĂŒr ein Hecht! Wenns’d den net nimmst, bist deppad!

Ganz so einfach ist es spÀter nicht mehr. Und irgendwann kommen wir alle in ein Alter, wo wir feststellen, dass eine ausgedehnte Sauftour bis 5:00 kontraproduktiv ist, wenn man um 8:00 auf der beruflichen Matte stehen soll.

Es hilft also alles nichts. Man wird seriös oder versucht zumindest fieberhaft den Anschein zu erwecken. So kam es bei mir auch zum ersten Team-Meeting in der neuen Arbeit. Meine Kolleg*innen schienen auf den ersten Blick jung, lustig und nett. Mit einem Kollegen ging ich im Anschluss noch Eine rauchen.

Er erzĂ€hlte ĂŒber Gott und die Welt, wĂ€hrend die selbstgewuzelte Zigarette an seiner Unterlippe klebte. Ich kam nicht umhin festzustellen, dass er ein ziemlich attraktiver Kerl war. Groß gewachsen, dunkelhaarig, mit spitzbĂŒbischem LĂ€cheln und dunklen Augen, in denen man versinken konnte. Genau mein Typ.

Diesen Gedanken verwarf ich aber schnell wieder. Schließlich war ich in einer Beziehung. Und, wie ich spĂ€ter erfuhr, er ebenso. Noch etwas spĂ€ter konnte ich mich an meine anfĂ€nglichen Gedanken gar nicht mehr erinnern. Je mehr wir zusammenarbeiteten, je besser wir uns kennenlernten, umso mehr kamen nĂ€mlich unsere Unterschiedlichkeiten ans Tageslicht.

Verglichen mit mir war er der absolute Chaot und zumeist tiefen-entspannt. Verglichen mit ihm war ich ĂŒber-strukturiert und stĂ€ndig unter Strom. Meine beste Freundin meinte trotzdem: “WĂ€r‘ der nix fĂŒr dich?“ Doch abgesehen davon, dass wir beide vergeben waren, war ich ĂŒberzeugt, mit seiner chaotischen Art wĂŒrde er mich privat mit Highspeed in den Wahnsinn treiben!

Trotzdem folgt das Leben seinen eigenen Regeln. Ein paar Jahre spĂ€ter, mittlerweile beide Single, trafen wir uns beim Fortgehen in der Stadt. Eins fĂŒhrte zum anderen und wir begannen, ganz altmodisch einfach irgendwann zu schmusen. Weil – Weisheit einer Freundin: G’schmust is gschwind.

Am nĂ€chsten Tag folgte die Krise. Haare raufend stand mein bindungsphobisches und beziehungsgestörtes Ich vorm Spiegel. Verschiedene Binsenweisheiten Ă  la “never f*ck the company!“ maltrĂ€tierten mein verkatertes Gehirn. Wo hatte ich mich da nur hinein manövriert? Ich war selten so nervös, wie vor dem nĂ€chsten Team-Meeting.

Doch, wie schon erwĂ€hnt, folgt das Leben seinen eigenen Regeln. Mittlerweile sind viele Jahre vergangen. Er treibt mich immer noch in den Wahnsinn. Die Tschick hĂ€ngt manchmal immer noch an seiner Lippe, wenn er etwas erzĂ€hlt. Zugleich bereichert er mein Sein auf eine mir zuvor nicht fĂŒr möglich gehaltene Weise, bin ich doch sein Wirbelwind und er meine Erdung. Und wenn ich dabei etwas gelernt habe, dann, dass man sein Leben nach seinen eigenen Weisheiten leben sollte.

© Lia Pipa 2021-10-15

Hashtags