von Daniela Neuwirth
Weibliche Gedanken zur Liebe, 2014
Schenke ich heute meinem Gegenüber ein Lächeln oder eine Emotion oder begnüge ich mich damit möglichst wenig das Gesicht zu verziehen und schnell auf ein grellgelbes Smiley zu tippen, ein Emoticon wegzuschicken, schön differenziert, wie hoch genau dieser Comic die Lippen zu einem Lächeln hochgezogen hat, ein zerknautschtes Gesicht präsentiert, den Grad an Geilheit mit mehr oder weniger raushängender Zunge ausdrückt.
Der Variantenvielfalt sind keine Grenzen gesetzt und selbst der höchstgebildete Unternehmer, Anwalt, Professor schreckt nicht davor zurück, sich tagtäglich mit dem blinkenden Spielzeug sinnlos seine Zeit zu vergeuden, während sich unsere Gesichter mehr und mehr zu botoxgelähmten Fratzen gefrieren und man – die tollen Werbeplakate machen es vor – als Frau immer ein wenig debil-lüstern mit leicht geöffnetem Mund aus der Wäsche lugen soll, während der Mann von heute vorteilhafterweise ein übercooles Pokerface zeigt, das an Lässigkeit nicht zu überbietenden, maßgeschneiderten Kleidung passt.
Maximal greift man heutzutage noch zum Handy, das möglichst nahe liegt, da sich die meisten ohne diesen elektronischen Quälgeist nur noch als halber Mensch fühlen, um irgendwelche Telefonanbieter zu sponsern, die uns zielgruppengerecht über mediale Kanäle mit ausgeklügelten Werbefilmchen, die das repräsentieren, was wir uns wünschen, wie wir gesehen werden wollen, womit wir uns identifizieren in ihren Bann ziehen und diesen gegen einen Monat für Monat wiederkehrende Gebühr an unseren Gedankengängen und unserer Mitteilungsgier teilhaben lassen.
Ganz einfach ist es auch gleich eine Massen-Nachricht zu versenden, um das aktuelle Gefühl an die Frau/den Mann zu bringen, dabei wird übersehen, wie schnell man sich zu einem ferngesteuerten, wenig in der Gegenwart präsenten Zombie mutiert, dessen Blick dem eines weltfremden Insassen einer psychiatrischen Anstalt ähnelnd, in die blinkende Innenhand gafft.
Durch die Streuung verwässert die Emotion, die Leute, welche ihre Eindrücke mitsammen teilen, kennen sich teilweise nicht mal persönlich und die Kraft wird somit aus der Gefühlssuppe genommen, die massive und wunderbare Energie unserer Verbindungen, welche auch ohne elektronische Zwischenleiter existieren würden, vergibt sich so an die Masse und finanziert ganze Konzerne mit, verkümmert, weil man nichts mehr mitzuteilen hat, wenn man zu Hause ankommt.
Es schreibt sich einfacher, dass man wen vermisst („miss u“ ist schnell eingetippt) oder liebt, als man es dem Partner gegenüber über Lippen bringt, worüber dieser bestimmt sehr überrascht, beeindruckt und angetan wäre. Statt „Ich will mit dir zusammen sein“, „Ich will dich an meiner Seite haben“, „Ich will keine Nacht mehr ohne dich schlafen müssen“, ein einfaches „Ich bin da.“
© Daniela Neuwirth 2020-12-20