Liebe und Tinder – die Analyse

Claudia Kanz

von Claudia Kanz

Story

OMG! Wenn ich nochmal von einem Mann wüst beschimpft werde, wenn ich mich erdreiste, nicht binnen einer Stunde zu antworten, oder um Nacktfotos gebeten werde, muss ich in der Dating App Tinder WO geben. Hallo? Warum sind die Männer da so aggro? Dabei bin ich eh von Natur aus freundlich und interessiere mich wirklich für den anderen Menschen! Und ja, für mich ist Liebe auch mit großer Freude Sex zu haben, aber dich nicht ohne das kultivierte Werben. Da bin ich ganz oldschool.

Die Suche einer selbstreflektierten, reifen Frau nach einem kompatiblen Partner, der schon lange nicht mehr ALLES sein muss, gestaltet sich auf der Dating Oberfläche als äußert schwierig.

Ich musste als Dating Neuling lernen, bei bestimmten Codewörtern und Bildern rigoros Nein zu sagen, auch wenn ich im echten Leben nie so oberflächlich wäre. Ich bin es aber auf den Plattformen. Ich habe schon vor vielen Jahren auf einer Sexplattform gelernt, dass Menschen abseits des eigenen Geschmacks trotzdem überraschend gut mit ihrem Körper und auch deinem umgehen können. Und das gilt auch für die Seele. Eigene Vorlieben werden schwerst überbewertet, denn wer kleinkariert seine Grenzen absteckt, kann keine neuen Kreise ziehen. Aber Vorlieben sind auch nicht gänzlich zu leugnen.

Ich habe damals also sehr viel über mich selbst gelernt. In diesen Apps aber ist das, was ich sehe und lese alles, was ich für den ersten Eindruck habe. Ich werde ja auf dieselbe Weise bewertet und muss es aushalten können, dass man lieber auf ein schlankes, langbeiniges, jüngeres Wesen abfährt. C’est la vie.

Ich habe klare Indikatoren ausgemacht, die bei mir nach zwei ereignisreichen Wochen heute sofort für einen endgültigen Links-Swipe [=nein] sorgen.

Wenn ich keine ungepflegten Menschen in nachlässiger Kleidung, wenig eloquenter Sprache oder mit Gesichtstatoos mag, macht es keinen Sinn diese Probanden auszuwählen, nur um sich zu beweisen, dass man nicht oberflächlich ist. Die Erkenntnis, dass auch ich auf ganz oberflächliche Dinge, wie Aussehen, reagiere, weil ich nichts anderes habe als ein paar Bildchen, hat mir nicht gefallen.

Aus den learnings habe ich die wichtigsten Tinder Ausschlussgründe für mich entwickelt:

– keine persönliche Beschreibung

– offen zur Schau gestellte Nacktheit

– ungepflegter, schlampiger Eindruck

– zu unfrei, zu wenig klares Ziel

– oder zu verzweifelt

– zu niedriger, lesbarer Bildungsgrad

Und bei diesen Ausschlussgründen reicht mir schon einer. Das ist echt hart.

Also, ich finde spannend was beim Daten abgeht, bei mir und bei meinem Gegenüber. Und man muss mit der Reduktion auf die Oberfläche zurechtkommen lernen.

Aber GSD gibt es auch Lichtblicke, wo echtes Interesse von Mensch zu Mensch entsteht. Das heißt in Zeiten von Corona und VideoCalls noch lange nichts, aber es gibt Hoffnung, das vielleicht einmal ins wahre Leben zu bringen. Timing und Aufmerksamkeitsspanne sind hier ein großes Thema.

© Claudia Kanz 2020-12-27