Liebe Uni Wien

Andreas Burkard

von Andreas Burkard

Story

Liebe Uni Wien,

ich hasste die Schule von Beginn an wie die Pest. Bereits unmittelbar nach meiner Einschulung wurde ich von Mitschülern drangsaliert. Diejenigen, die ich meine Freunde nannte, waren allesamt Waschlappen und hatten nicht den Mumm, mir in Auseinandersetzungen beizustehen. Mit der Zeit fanden die Streitigkeiten mit meinen Klassenkameraden glücklicherweise ein Ende. Was dagegen kein Ende fand, war meine Abneigung den Meisten meiner Lehrerinnen und Lehrern gegenüber. Um es auf den Punkt zu bringen: Mir war nichts mehr verhasst als der sogenannte Lehrkörper. Das änderte sich auch nicht, als ich auf das Gymnasium wechselte. Die überwältigende Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer, die ich zwischen Einschulung und Abitur erlebte, waren an geistiger Beschränktheit kaum zu überbieten. Diese Tatsache ist vielleicht gar nicht unbedingt ihnen selbst anzulasten. Vielmehr scheint es mir so zu sein, dass jeder, der auch nur einen Hauch von Fantasie und Weltoffenheit verspürt, nach Erlangung des Abiturs, das ja nichts anderes ist als eine Entlassungsurkunde, etwas anderes wollen muss, als den Rest seines Lebens in genau jener Irrenanstalt zu verbringen, aus der er gerade entlassen wurde. Die übrigen, also diejenigen, die sich keinen Gedanken zu denken getrauen, der nicht von höherer Stelle als denkbar autorisiert wurde, die zu nichts in der Lage sind, als eben jenen Dreck wiederzukäuen und zu reproduzieren, den ihnen ihre unmittelbarste Umgebung seit Jahren zum Fraß vorgeworfen hat, entscheiden sich möglicherweise, Lehramt zu studieren.Ich jedenfalls war ein schlechter Schüler mit einem ebenso schlechten Abitur. Da nicht das Abitur, wenn es auch als Allgemeine Hochschulreife bezeichnet wird, sondern vielmehr der Numerus Clausus die Eintrittskarte zu einer deutschen Hochschule war, schrieb ich mich – nachdem ich von acht deutschen Unis abgelehnt worden war – bei Dir, der Universität Wien ein. Der Gang nach Wien war, wie ich heute weiß, die glücklichste Entscheidung, die mir das deutsche Bildungssystem je aufzwang. Denn was Du, liebe Alma Mater, mir zuteil werden ließest war nicht weniger als das Gegenteil dessen, was ich bisher an institutionalisierter Bildung erfahren hatte: Du gabst nicht vor, Dich für das zu interessieren, was ich tue oder lasse, ob ich fleißig war oder faul, meine Seminare und Seminararbeiten zu Ende brachte oder nicht. Du hattest kein Interesse daran, mich zu irgendetwas zu zwingen oder mein Verhalten zu sanktionieren – während dies im Falle der Schule doch als eigentlicher Zweck dieser Institution angesehen werden muss. Deine vollkommene Gleichgültigkeit mir gegenüber war es aber gerade, was mir die Freiheit gab, selbst so etwas wie Interesse an meinem Fach zu entwickeln. Du gabst mir die Freiheit, mich jeden Tag neu dazu zu entscheiden, studieren zu wollen. Du ließest das geschehen, was wahre Bildung ausmacht. Dafür danke ich Dir von Herzen.

© Andreas Burkard 2021-08-15

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