von Annemarie Kurze
Ich bin wütend. Ich bin so wütend auf dich. Ich bin wütend auf dich, weil ich deinetwegen Angst habe. Keiner meiner Freunde kennt das, aber alle meine Freundinnen schon. Jede kann mindestens eine Geschichte erzählen. Du stiehlst mir meine Freiheit. Das machst du nicht nur zu Hause, wenn ich im Dunkeln auf dem Heimweg keine Musik hören kann, um reagieren zu können, falls mir jemand zu nahe kommt. Wenn ich in ausgeschnittenen Tops oder kurzen Röcken merkwürdig gemustert werde. Auch im Urlaub machst du das, obwohl ich den eigentlich mit purer Freiheit verbinde.
So sitze ich in unserem Airbnb und zähle fünf Dinge auf, die ich sehe, vier die ich höre, drei die ich fühle, zwei die ich schmecke und eins das ich rieche, während ich fest umarmt werde. Denn ich habe gerade eine Panikattacke. Ich habe eine Panikattacke, weil ich meine Offenheit hinterfrage. Die Situation hätte auch anders ausgehen können und nach allen Stimmen, die uns „Verhaltenstipps“ gegeben haben, wäre sie das auch. „Dort hin als zwei Frauen? Da würde ich vorsichtig sein.“ Ja man, klar bin ich vorsichtig, aber wieso muss ich denn ständig so viel mehr aufpassen nur, weil ich eine Vulva habe. Deinetwegen liebes Patriarchat und wegen deiner Mitbringsel. Unter anderem genannt Sexismus, Misogynie und Unterdrückung. Die Liste ist lang und sie macht mich wütend. So wütend, dass ich bis drei Uhr nachts wach liege und innerlich koche.
Die netten Begegnungen auf Reisen sind doch genau das, was das Reisen so schön macht. Ich habe ein gutes Bauchgefühl und weiß mich zu wehren. Trotzdem laufen die Tränen meine Wange herunter und ich hyperventiliere. Das mein Problem mit Panikattacken jetzt nicht ursächlich von dir kommt, ist mir bewusst. Aber in diesem Moment habe ich eine. Deinetwegen. Weil ich immer wieder gesagt bekomme, als Frau müsse man Angst haben und besonders vorsichtig sein. Am besten verlasse ich das Airbnb nicht, aber dann muss ich auch nicht in den Urlaub fahren. Dann kann ich auch in meiner eigenen Wohnung herumhocken und wütend sein. Da ist das Bett wenigstens bequemer.
So ein Leben will ich nicht führen und dafür wurde nicht gekämpft. Gekämpft wurde für Freiheit. Die wir auch an einigen Stellen haben, aber es gibt eben auch noch viel zu tun. Wäre schön, wenn du auch mal Verantwortung übernimmst und nicht ständig in die Opferrolle flüchtest, sobald du kritisiert wirst. Das ist lächerlich. Am liebsten würde ich dir das ins Gesicht sagen. Du bist so überholt. Was willst du überhaupt noch hier? Komm mal in der Gegenwart an. Vielleicht musst du auch einfach mal lernen loszulassen. Ach und übrigens, liebes Patriarchat, bin ich nicht die Einzige, der du mit deinem Größenwahn auf die Nerven gehst. Du wirst schon seit mindestens 200 Jahren von immer mehr Menschen gehasst. An deiner Stelle würde ich mir darüber mal Gedanken machen. Vielleicht einfach mal das Problem bei sich selbst und nicht den anderen suchen. Selbstreflexion nennt man das. Würde dir vermutlich auch ganz gut stehen.
Liebe Grüße
Eine Feministin
© Annemarie Kurze 2024-01-04