Ich lese Eure Geschichten und bin bereichert, fasziniert, beschenkt, berührt und manchmal aufgewühlt, hin und wieder entsetzt, ob der Grausamkeiten, die Menschen ertragen mussten, die Gewalt erfahren haben.
Kinder.
Schreibe meine Geschichten und erlebe Episoden wieder. Das sind kleine Anekdoten und Nahaufnahmen. Die großen Spieler spielen darin keine Rollen. Es ist schön, erzählen zu dürfen. Es ist in der Tat so, als säßen fünfundzwanzigtausend Menschen, die Freude an Sprache und Ausdruck haben, um ein großes Lagerfeuer. Wie sie es erdacht haben, die Gründer. Wären alle gleichzeitig zugegen, säßen Tausende von Grüppchen in Kreisen um kleine Lagerfeuer herum. Das hätte eine Kraft. Das ist eine Kraft. So viel Licht.
Ich habe auch Gewalt erfahren. Nicht als Kind. Als Frau.
Darüber will ich nicht schreiben.
Darüber, dass diese Krise, diese Weggabelung, über uns hereingebrochen ist, will ich nicht schreiben. Das tut uns Gewalt an. Wenn etwas von dem, was geworden ist, zu zerbrechen scheint, habe ich ein starkes Bedürfnis, all das Gute herauszufiltern. Das, was heil ist. Das Wahre, Gute und Schöne. Das Gebildete. Bildung ist der Versuch, den Menschen zum Menschen zu begaben, sagt Martha Nussbaum. Poesie ist das. Ein Scheideweg ist ein Entscheidungsweg nach links, oder nach rechts. Wenn wir uns entschieden haben, wissen wir nichts vom anderen Weg. Wenn die Welt aus den Fugen zu geraten droht, kann man überhaupt einen anderen Weg gehen, als den, der bildet? Zusammenfügen und komponieren aus den handverlesenen, genuinen Bestandteilen, die heil sind?
Ist es dieser unantastbare innere Kern, der uns dazu befähigt, Unrecht, Verrat, körperliche und seelische Gewalt zu verkraften, Missachtung und Demütigung zu ertragen. Ist es deshalb heilsam und legitim, in Zeiten wie diesen die heile Welt zu malen. Das ist die Frage, die sich aufdrängt, nachdem ich festgestellt habe, dass ich seit einem halben Jahr die heile Welt male.
Ich bin ein unbequemer Mensch. Weil ich immer sage, was ich denke. Damit macht man sich Freunde und Feinde. Freunde mögen es, wenn sie wissen, wie sie dran sind. Ich bin auch ein Freund, denn ich will wissen, wie ich dran bin. Ich habe Freunde lieber.
Ich hätte auch ein paar Horrorgeschichten zu bieten. Dann erlebe ich sie, die ich sie los bin, wieder und muss sie wieder loswerden. Dann erlebt Ihr sie nach und seid bedrückt mit Eurer allumfassenden Emphatie, die um dieses Lagerfeuer schwebt. So liebevoll und klug von positiver Wertschätzung getragen. Ist jetzt die Zeit für die Qualität der Beziehungen, an denen sich der Wert des Menschen misst. Ist jetzt die Zeit dafür, zu sehen, wie fragil wir sind. Wie zerbrechlich Starres ist, wie unverwüstlich und biegsam Efeu, den niemand beachtet.
Oh, das ist ein Liebesbrief ins Lagerfeuer der Geschichtenerzähler/-innen.
Die Liebe ist in dem, der liebt, sagt Plato.
Ist jetzt vielleicht die Zeit für die Liebe als Seinszustand der Seele. Dann ist sie heil.
© Elisabeth Kinigadner 2020-11-17