von Andrea Stix
Die Sehnsucht nach Liebe steckt in jedem Menschen, da wir als soziale Wesen geboren wurden und nicht als Roboter. Viele Menschen verzichten – unfreiwillig – auf die Liebe. Fehlt die Liebe auf Dauer, dann sind unterschiedlichste Krankheiten im Vormarsch.
Ist Liebe ein Geschäft geworden, also nur der Mühe wert, wenn wir als Endergebnis Geld verdienen oder unser Ansehen erhöhen? Liebe, die keinen Gewinn abwirft, hat sie Platz in unserer modernen Welt?
Vielleicht haben Sie auch als Kind die Erfahrung gemacht, dass Lob nur dann ausgesprochen wurde, wenn die Noten gut waren. Oder Ihnen erst ein Wunsch erfüllt wurde, wenn Sie vorher eine bestimmte Leistung erbracht haben.
Oder schauen wir heute mal in die Berufswelt. Gibt es noch Geschäftspartner, die Aufmerksamkeiten überreichen, ohne den Hintergedanken dafür mit einem neuen Auftrag belohnt zu werden? Und wird nicht selbst sogar im Freundeskreis unbewusst gedacht: so wie ich dir, so du mir? Liebe als Mittel zum Zweck?
Sollten wir uns – gerade in diesen Tagen – nicht viel mehr auf den Ursprung der Liebe besinnen und Menschen bewundern, die Liebe geben, die einfach ihr Herz öffnen und die nicht lange überlegen, ob es sich lohnt, sondern einfach tun? Sehnen wir uns deshalb so nach Liebe, weil wir bereits als Kind gelernt haben, dass wir immer eine Gegenleistung erhalten „müssen“, wenn wir was schenken?
Echte, wahre Liebe ist ein Geschenk, bedingungslos, d.h. ohne Erwartungshaltung an das Gegenüber. Einfach etwas schenken, weil man den anderen Menschen mag. Und was uns heute noch viel schwerer fällt, sich auch mit Liebe beschenken zu lassen. Dankbar annehmen, was da ist, ohne gleich wieder zu denken: ich wurde beschenkt, jetzt muss ich nachdenken, was ich zurückgeben kann.
Reich beschenkt werde ich immer wieder von Menschen mit Demenz 1) :
Woche für Woche besuche ich Frau Bayer. Sie freut sich immer über meine Besuche, die eine willkommene Abwechslung sind zum sonst üblichen an die Decke starren. Meistens halte ich ihre Hand, wenn ich erzähle, was mir gerade so einfällt. Manchmal bringe ich auch Gegenstände mit, um ihre Sinne anzusprechen. Aus ihrer Biografie weiß ich, dass sie früher in einem Chor gesungen hat. So singe ich ihr auch immer, der Jahreszeit oder dem Anlass entsprechend, bekannte Lieder vor. Oft summt sie mit – die Sprache hat Frau Bayer schon vor einiger Zeit verloren – und dabei strahlen ihre Augen. Als ich ihr heute die Hand zur Verabschiedung reiche, schaut sie mich mit einem Lächeln an und sagt: „Danke, dass Sie da waren!“
Diese Worte haben mich tief berührt, weil sie aus ehrlichen Herzen gekommen sind. In diesem Augenblick konnte ich sie spüren, diese bedingungslose Liebe.
® Andrea Stix
1) Anmerkung der Autorin: wahre Begebenheit, Name und Ort wurden aus Datenschutzgründen geändert
© Andrea Stix 2020-04-11