Liebeserklärung an Pfeddersheim

Anne Michel

von Anne Michel

Story

Pfeddersheim, der Ort, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbrachte, ist meine «Herkunft» und die meiner gesamten Familie. Auf die Frage: «Woher kommst du», antworte ich beharrlich: «Ich komme aus Pfeddersheim». Verwunderung, malt sich jedes Mal auf den Gesichtern der Fragenden ab. «Pfeddersheim, wo liegt das»? «Im südlichen Wonnegau, nicht weit von Worms am Rhein entfernt, kläre ich die Ahnungslosen auf». Und stelle gleich die Gegenfrage: «Du kennst die ehemalige freie Reichsstadt mit ihrer wechselvollen Geschichte nicht?» «Worms kenne ich, aber von Pfeddersheim habe ich noch niemals gehört» bekomme ich dann meist etwas verschämt, zur Antwort. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zuzugeben, dass es keine allzu große Bildungslücke ist, sich kein Wissen über «mein Pfeddersheim» und seine leidvolle Geschichte angeeignet zu haben. Aber ich kenne und liebe die wechselvolle Vergangenheit meines Herkunftsortes. Mir imponiert die abtrünnige Stadtbevölkerung, die sich den rebellierenden Bauern angeschlossen hatte, und unter der Flagge des Bundschuhs gegen die Obrigkeit und den Adel für Freiheit und Gleichberechtigung kämpfte. Bei genauerem Hinsehen, findet man auch bei mir, die latent vorhandene Bereitschaft zur Rebellion. An meinen Freundinnen und einigen Familienangehörigen entdecke ich diese Veranlagung ebenfalls. Vielleicht ist ja das Rebellische den meisten Pfeddersheimern gemein. Wer weiß? Die Bauernschlacht von 1525 bei Pfeddersheim ist in allen Gesichtsbüchern vermerkt. Sie forderte unter den hoffnungslos unterlegenen Bauern und Bürgern einen unvorstellbaren Blutzoll. Der Sieg der Obrigkeiten beendete den Bauernaufstand und die kurzzeitige Hoffnung auf mehr Freiheiten und ein würdevolleres Leben. Bis auf den heutigen Tag bezeichnen die Pfeddersheimer den Hohlweg nach Mörstadt als «Bluthohl», weil die Sage berichtet, dass die entscheidende Schlacht, dort stattgefunden haben soll. Die abgeschlachteten Bauern wurden in Massengräbern verscharrt. Eines davon fand man, bei der Renovierung der katholischen Kirche. Ich erinnere mich, in meiner Kindheit vor der Wand mit den unzähligen Skeletten gestanden zu haben. Schaurig anzusehen, die bleichen Schädel mit den leeren Augenhöhlen und den manchmal noch vollständig erhaltenen Gebissen. Würde ich Ahnenforschung betreiben, käme womöglich heraus, dass es die Vorfahren meiner Familie waren, die für eine gerechte Sache kämpften und wegen ihrer Überzeugung starben. Das Kopfkino startet wie von selbst. Der Film, der abläuft, zeichnet einen Hergang der Schlacht, deren Verlauf und Ausgang, im krassen Gegensatz zu den historischen Fakten stehen. Die Fiktion von einem heroischen Sieg der Aufständischen würde selbst heute noch, das Herz eines jeden Pfeddersheimers erfreuen und mit Genugtuung erfüllen. Schade, dass diese Wunschvorstellung ausschließlich meiner blühenden Fantasie geschuldet ist.

© Anne Michel 2021-02-13

Hashtags