von MISERANDVS
“Aus unendlichen Sehnsüchten steigen endliche Taten wie schwache Fontänen, die sich zeitig und zitternd neigen. Aber, die sich uns sonst verschweigen, unsere fröhlichen Kräfte – zeigen sich in diesen tanzenden Tränen.”
Ich lese Rilke nicht gern. Dieses einfache, kurze Gedicht zu durchdenken, kostet mich nun schon Tage. Und immer, wenn ich denke, jetzt hätt‘ ich verstanden, was er damit ausdrücken wollte, reißt mein Gedankenfaden schnalzend ab, und ich beginne von vorn. Es wäre einfach, zu sagen: „Ich bin für Rilke halt zu dumm.“ Tatsächlich aber ist es so, dass er mich so sehr fordert, dass in seinen Worten so viel Tiefgang liegt, dass in eben diesen Zeilen zum Beispiel eine gewaltige Erfahrung liegen muss, die ihn inspiriert hat, dies mit just jenen Worten und Satzzeichen hinzuschreiben, welche ich aber nicht kenne, und die er nie verrät. Dass ich Rilke und seine verfluchten schönen Worte hassen muss, weil ich sie nicht lieben kann!
Wenn ich meine Gedichte schreibe – Und ich bin – Weiß Gott! – kein Rilke! – dann schreib ich die in einem Rutsch. Ein paar Minuten für etliche Strophen. Was ich schreiben will, weiß ich, die Worte haben sich den ganzen Tag über versammelt, warten auf Abruf. Nur noch ein wenig drehen, dann reimt es sich – oder es bleibt ungereimt – uuuund: Ende. Durchlesen, Fehler korrigieren. Passt. Ich drehe niemals noch an einem Gedicht. Unzufrieden bin ich sowieso. Ich stelle mir vor, ich bastelte an einem Gedicht wie Poe über Jahre hinweg, bis es mir genügte, bis die Botschaft dahinter stimmte, … Ich würd‘ mich erhängen darüber! Wer ein Gedicht liest, soll seine eigene Interpretation hineinlegen. Er oder sie soll die Worte nehmen, sich darin wiederfinden. Ich schreib ein Gedicht für mich, er oder sie liest es für sich. Keine Überschneidung. Meine Auslegung!
Verfluchtes Rilke-Gedicht! Wie ich dich schön find! Wie ich dich so sehr hasse! Wie ich beide Sätze für sich in mir erkenne und sie sich in Einheit ums Verrecken an mir nicht widerspiegeln wollen.
Ich mutmaße: Rilke war vielleicht auch einer, der einen Dreck drum gab, was die Leute von ihm dachten. Bestimmt hassten sie ihn, wie ich, für sein begnadetes Talent. Wie er diesen Zeilen schrieb? Vermutlich mit den Worten: “Ich geh mal Scheißen. Mir ist nach Poesie. Setz Kaffee auf. In vier Minuten hab ich’s.” Und dann kritzelte er vielleicht jene Zeilen auf ein Blatt von der Rolle, schuf mal eben so ein Meisterwerk für die Ewigkeit. Und es war ihm egal.
“Aus unendlichen Sehnsüchten steigen endliche Taten wie schwache Fontänen…”, kotzen möcht ich vor Neid auf ihn und Zorn über mein Untalent dagegen, weil die paar Worte alleine so wunderschön sind. Das Schönste, was ich bis anhin passabel zustande gebracht hab? Ein Satz, aus einem Gedicht, an dem ich wirklich richtig lange gedreht hab. Ein popeliger Satz nur, auf den ich unendlich stolz bin. “In meinem Herzen fällt leise Schnee.”
Für das und €2,30 kann ich mir eine Wurstsemmel kaufen.
Rilke, du Schweinehund! Was tust du mir an!
© MISERANDVS 2021-06-16