von Sonja M. Winkler
Die Begegnung mit Kokoschkas Puppe im Leopoldmuseum hat mich zu weiteren Nachforschungen getrieben. Sie verfolgt mich. Sie drängt sich mir auf. Die Rede ist von Alma Schindler, verehelichte Mahler, dann Gropius, schließlich Werfel.
Mittlerweile hab ich auf Empfehlung einer Bekannten den Roman „Krötenliebe“ (Deuticke-Verlag, Wien 2016, 190 Seiten) gelesen. Nein, verschlungen. Denn verschlungen sind auch die zeitlich ineinandergreifenden Erzählperspektiven, die Almas Seele von verschiedenen Seiten beleuchten und gewisse Deutungen zulassen. Die Lektüre hat mir den Mund wässrig gemacht. Nach der gestrigen Kaffeejause drückte mir H., ehemalige Kunsterzieherin, weitere Bücher in die Hand. Ich bin Alma auf der Spur.
Wie wild blättere ich in ihrer Autobiografie „Mein Leben“, will wissen, wie dieser Paul Kammerer darin wegkommt. Denn in Rabinowichs Roman nimmt er ziemlich viel Raum ein, der Salamanderforscher, der sich 1924 auf der Rax eine Kugel in den Kopf jagt, weil ihn Fachkollegen bezichtigen, er habe Versuchsreihen an Kröten in betrügerischer Absicht manipuliert.
Dr. Paul Kammerer. – Gedankensprung.
An einem Herbsttag mache ich mich auf den Weg zur Kaasgrabenkirche, die Wien für die Sendung „9 Plätze – 9 Schätze“ ins Rennen schickte. Dabei stoße ich in Wien Döbling auf diese kleine Gasse, nicht lang, die einen Bogen beschreibt, von der Krottenbachstraße weg. Adrette Vorgärten seh ich, wie ich durch das Gässchen schlendere, zurechtgestutzte Hecken und Blumenkisten, da und dort Zierrat, alles recht fein. Puppenhäuschen. Aber ich denk mir nichts beim Namen der Gasse. Als ich in „Krötenliebe“ wieder auf Paul Kammerer stieß, Zoologe und Vorreiter der Epigenetik, nach dem die Kammerergasse 1930 benannt wurde, war ich dementsprechend verblüfft.
Als „eines der seltsamsten Wesen“, das ihr je begegnet sei, so beschreibt ihn Alma. Hat er sich doch glatt eingebildet, dieser „Unkuss“ vor dem Terrarium wäre einem Eheversprechen gleichgekommen. Nie und nimmer habe sie an eine Beziehung mit einem gedacht, der Mehlwürmer in den Mund steckt und schmatzend verspeist. Ihr habe gegraust.
Aber er war ein glühender Verehrer Gustav Mahlers und ein hervorragender Briefeschreiber. So hatte alles begonnen. Er verschaffte sich Zutritt in die Wohnung. Als Mahler 1911 verstarb, bot Kammerer der Witwe an, als seine Assistentin in der biologischen Versuchsanstalt im Prater zu arbeiten. Sie musste Gottesanbeterinnen beobachten und ihr Fressverhalten protokollieren. Aufdringlich sei er gewesen, der Kammerer, und lächerlich in seiner hündischen Ergebenheit. Als er wiederholt mit einer Pistole vor ihrem Gesicht herumfuchtelte, hatte sie endgültig die Nase voll.
Sie verständigte kurzerhand seine Ehefrau, sagte den Spinnen ade und wandte sich den schönen Künsten zu.
Im Winter 1912 erfuhr sie, dass ein gewisser Kokoschka ganz wild darauf sei, dass sie ihm Modell säße.
© Sonja M. Winkler 2023-03-24