von Werner Meier
Kseniya, mein Engel… Mein Herz ist schon in Vologda, ich komme nach… (Teil 7)
Bevor ich ernsthaft darüber nachdenke, dass Kseniya echt sein könnte, wird es Zeit, die Reißleine zu ziehen..
Hirn wieder einschalten!
Mein zwischendurch entflammtes Herz ist wieder kühlem Kopf gewichen! Jetzt schreib ich bayrisch hinterfotzig!
„Liebste, ich denke, das wäre für dich gut, weil du dort nahe bei deiner Familie und deiner besten Freundin bist. Und ich lerne gerne deine Heimat und die Menschen dort kennen. Ich kann mich überall wohlfühlen und schnell anpassen. Ich lerne dann gerne auch russisch…Ich bin nicht reich, ich muss arbeiten. Ich könnte Kontakt zum deutschen Fernsehstudio in Moskau aufnehmen und vielleicht auch für die nette journalistische Beiträge aus deiner Heimat liefern. Außerdem habe ich im Internet nachgesehen. Es gibt in Russland auch zwei deutschsprachige Zeitungen, eine in Moskau, und eine in St. Petersburg. Vielleicht könnte ich für die auch was schreiben…Ich umarme dich…“
Online-Betrüger dürften meine angedachte Kontaktaufnahme zu Medien als akute Bedrohungslage wahrnehmen, spekuliere ich. Und möchte nicht recht behalten. Wenn Kseniya ruft, quatsch ich wem bei der russischen Botschaft ein zweites Loch in den Arsch, pack zwei Reisetaschen und lass mich mit Atemmaske nach Russland verfrachten, pfeif auf Corona. Wer mich kennt weiß ich bring das, wenn ich mal ins Rollen komm. Nachbar und Nachbarin steht schon der Schweiß auf der Stirn.
Meine Kseniya mailt nicht mehr.
Totale Funkstille. Profil 3257912 hat sich letztmalig am 24. Juni eingeloggt und gelöscht. Da ist meine Leiche noch warm. Es schaut nach Flucht aus. Ich bin plötzlich erleichtert. Eigentlich will ich nicht nach Vologda. In München-Laim kann´s auch schön sein. Kseniyas Fotos behalt ich zur Erinnerung gespeichert. Und meiner Nachbarin sag ich, ich hab´s probiert! Sie soll mich künftig mit Weibsbildern in Ruhe lassen!
ENDE
Das alles ist jetzt vier Jahre her. Ich stelle mir vor, ich lebte tatsächlich bei meiner echten Kseniya in Russland. Unter der Diktatur des Massenmörders im Kreml, der mit aller Macht und unbeschreiblicher Grausamkeit das ukrainische Volk auslöschen will. Hätte ich dort heute den Mut, gegen ihn zu demonstrieren? Dann wäre ich jetzt im Gefängnis oder tot. Hätte ich den Mut nicht, würde ich mich mein Leben lang selbst verachten. Ich bin froh, dass ich bis heute nicht alles über mich bis ins letzte Detail herausfinden musste.
© Werner Meier 2024-03-26