Wir entscheiden uns gegen die Autobahn in Tschechien und gelangen über Landstraßen ohne Umwege nordwärts. Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich Zittau. Das Seecamping im Zittauer Gebirge übersteigt alle unsere Erwartungen, was die sanitären Anlagen betrifft. Die modernen Dusch- und WC-Anlagen sind großzügig angelegt, sauber und mit Solar-Anlagen überdacht. Modern sind unsere Klappfahrräder zwar nicht, aber sie kommen am folgenden Tag nach langer Stehpause wieder zum Einsatz. Unser erstes Ziel ist ein Rewe in Zittau. Auch der Supermarkt lässt uns staunen, was sein Angebot betrifft. Wir füllen unsere Obst- und Gemüsevorräte auf und verwöhnen uns mit Lupinentempeh-Streifen, Brokkoli und Bratkartoffeln.
Danach wollen die Wadeln radeln. Zahlreiche Waldwege vernetzen das Erholungsgebiet rund um den Olberndorfer See. Und wer glaubt, es geht gemächlich eben dahin, der irrt. Mir glühen bald die Oberschenkel, während die E-Biker rasant an uns vorbeiglühen. Die sportliche Ambition muss mehrmals Pause einlegen, immer dann, wenn ich etwas Spannendes entdecke. So zum Beispiel, wenn der Gelbwürfelige Dickkopffalter auf dem Rotklee weilt. Wilde Lupinen säumen hier die Geh- und Radwege. Sie strecken ihre lilablauen Blüten wie Kerzen gegen den Himmel. Lila ist die dominierende Farbe neben dem satten Grün der Gräser, wären da nicht gelbe Habichtskräuter, die den Lupinen und Akeleien, den Wiesen-Glockenblumen, Reiherschnabelblüten und dem Beinwell die Show stehlen. Die aus Ostasien stammende Kartoffelrose fühlt sich hier als Neophyt gut aufgehoben. Sie sticht mit einem edlen lilaroten Farbton hervor. Von Zeit zu Zeit laden Bänke an Aussichtspunkten zum Verweilen am Seeufer ein. Das Angebot nehmen wir gerne an. Unsere alten Klappräder nehmen uns die Pause nicht übel. Deshalb entgeht auch ihnen das Haubentaucher-Pärchen nicht, das nahe dem Schilfgürtel eine Runde zieht.
Der blaue Himmel lässt auch heute keine Wolken zu. Man könnte meinen, die Badesaison ist voll im Gange. Viele Erholungssuchende verweilen am See, wenngleich nur wenige es in das kühle Nass wagen. Wir schauen eine Zeit lang dem regen Treiben zu, ehe wir uns wieder auf den Weg machen. Noch einmal steigen wir von unseren Drahteseln und genießen das traumhafte Panorama. Das Erzgebirge hat den Menschen von heute diesen Badesee geschenkt. Er ist ein „Abfallprodukt“ des Braunkohleabbaus vor mehr als 30 Jahren. Wer denkt heute noch an die Knochenarbeit, die die Bergbauern geleistet haben? Mir wird wieder leichter ums Herz, als der Hauhechel-Bläuling meine Beine umflattert. Er balzt um sein Weibchen und wehrt seinen Konkurrenten ab.
Nun wird es langsam Zeit, weiter „heimwärts“ zu radeln. Unser sportlicher Tag neigt sich dem Ende zu. Der Rotmilan zieht seine Kreise, während die Sonne ihren Kreis langsam beendet. Ich lehne mein Fahrrad an einen Baum neben dem Wohnmobil, da flattert etwas direkt vor meine Füße. Ich kann nicht erkennen, was es ist. Das macht mich neugierig. Plötzlich löst es sich im Nichts auf. Ungläubig starre ich auf die Grashalme vor mir, bis ich ihn endlich zwischen dem Grasgrün ausmache: den grünen Zweibindigen Nadelwaldspanner, mein Highlight des Tages.
© Gabriele_Krele-Art 2023-06-02