von Kim Corrigan
Warm weht der Wind durchs offene Fenster. Die federleichten weißen Vorhänge wehen bis zu meinem Bett, als ich langsam meine Augen öffne. Rosa blitzt der Holunder durch die seichten Wellen. Leises Geklapper kommt aus unserer Küche und ich hüpfe aus dem Bett. Mutter steht an unserer Spüle. Sie summt wie immer vor sich hin und scheint mich nicht zu bemerken. Leise schleiche ich mich an ihr vorbei in unseren Garten. Geschafft. Lachend springe ich durch das hohe Gras und renne zwischen unseren knorrigen Apfelbäumen hindurch, deren Äste bis auf den Boden reichen. Vorbei am verwitterten Klettergerüst zu einer kleinen Lichtung zwischen den Tannen. Dort steht ein einsamer Flieder, dessen herrlich duftenden Blüten wie Tropfen über einem kleinen Brunnen hängen. Eigentlich darf ich hier nicht alleine hin. Auf Zehenspitzen stelle ich mich vor den Brunnen und fahre mit meiner Hand durch das dunkle Wasser. Kleine Wellen schaukeln einzelne lila Blüten über den nassen Spiegel. Gespannt warte ich am Rand des Brunnens. Leise glitzert das Wasser vor sich hin. Da! Die erste Blüte kippt. Als sie wieder auftaucht, fährt sie sich mit durchsichtigen feinen Fingern durch lange, wässrige Haare. Begeistert klatsche ich in die Hände. Die kleine Wasserelfe tanzt nun in ihrem lila Gewand über die schillernde Bühne. Langsam fangen auch ihre Freundinnen an, in kleinen Kreiseln vor mir hin und her zu wirbeln. Aufmerksam beobachte ich ihre wunderschönen feinen Bewegungen. Vorsichtig hüpfe ich unterm Flieder um den moosigen Brunnen. Nach ein paar unsicheren Schritten fange ich ebenfalls an, mich in meinem weißen Nachthemd zu drehen. Als ich strahlend wieder zu den Elfen schaue, sitzen sie fasziniert auf den Brunnensteinen und klatschen begeistert, als ich mich verbeuge. Bis heute hatte ich mich nie getraut, ebenfalls zu tanzen. Die filigranen Elfen sind so märchenhaft schön und ich bin so klein und tollpatschig. Doch sie scheinen wirklich stolz auf mich zu sein und sich richtig darüber zu freuen, jemanden gefunden zu haben, der mit ihnen tanzt. Seit diesem Sommermorgen schleiche ich mich jeden Tag hinaus, um mit ihnen zu tanzen. Als der Herbst auf kalten Schwingen in unser Dorf kommt und der alte Flieder langsam verblüht, sammle ich heimlich ein paar Blüten in meinen Rock und verstecke sie unter meinem Bett. So tanzen die Elfen und ich durch die goldenen Blätter am Boden, lachen gemeinsam im Regen und hinterlassen unsere leichten Fußabdrücke im Schnee. Eines Nachts wütet ein schwerer Sturm durch unseren Garten. Das Holz zersplittert, die Blüten verschwunden. Seitdem tanze ich alleine um den Brunnen und beobachte mein Spiegelbild im seichten Wasser, das immer noch wie an jenem Sommermorgen unter einem Dach aus Fliederblüten wirbelt. Nein, ich bin nicht traurig, denn ich weiß, dass die Zeit mir meine Elfen zurückbringen wird. Bis dahin tanze ich für sie in Flieder gehüllt durchs raue Gras und kann es kaum erwarten, ihnen meine neuen Schritte zu zeigen.
© Kim Corrigan 2022-08-31