Linda, nur ein Hund

AnnGuent

von AnnGuent

Story

Wenn man in einem sibirischen Dorf aufwächst, ist man der Natur ganz nah. Jeden Tag erlebt man eine neue Geburt, auch einen Abschied. Nicht nur von den Pflanzen, sondern auch von Tieren.

Wir hatten Haustiere, die eine Funktion hatten: Von der Kuh bekamen wir jeden Tag frische Milch, von den Hühnern frische Eier, von den Ferkeln frische Babies, die jeden Sommer geschlachtet wurden. Unsere zwei Hunde schützten die Kuh, die Hühner und die Ferkel vor einem Einbruch. Sie waren sozusagen ihre Bodyguards.

Eines Tages schufen wir uns jedoch einen Hund ohne Funktion an. Von entfernten Verwandten vermittelt kam das reinrassige Collieweibchen in unsere Familie. Wir nannten sie Linda. Erst in Deutschland erfuhr ich, dass Linda auf Spanisch “die Schöne“ heißt. Linda begleitete unser Leben fünf Jahre lang. Ende der 1990er Jahre entschied meine Familie, Russland zu verlassen. Als wir unser Haus verkauften, zog Linda mit uns zu unserer Oma um. Am Abend des Umzugs haben wir sie bereits vermisst. Sie war nirgends aufzufinden. Man Papa fuhr spontan zu unserem alten Haus. Das Haus befand sich am anderen Ende des Dorfes. Und wen fand er dort auf der Terrasse liegen? Linda! Sie fand ihren Weg zurück zu ihrer alten Heimat.

Es folgten weitere Heimatorte für sie. Wir setzten sie bei meiner Tante ab. Etwa 700 km von unserem alten Zuhause entfernt. Zwei Jahre nach unserer Auswanderung kamen wir nach Sibirien zu Besuch. Auch unsere Tante besuchten wir, denn es war uns wichtig, Linda gesehen zu haben. Ich war ganz gespannt darauf, ob sie uns wiedererkennen würde. Sie erkannte uns, natürlich!

© AnnGuent 2021-04-27

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