Tod im Lindenhof

Story

Ein Buch, kürzlich gekauft, heute in einem Zug gelesen. Ein Kriminalfall, der über die Grenzen hinaus bekannt wurde. Junge ungarische Schauspielerin in die Pesentheiner Schlucht geschupft vom Gatten, sie überlebt, mit Veronal vergiftet im „Lindenhof“, sie überlebt. Stranguliert. Da war sie tot. Alles in einer Urlaubswoche in Millstatt im August des Jahres 1927.

Der „Lindenhof“ ist ein Wahrzeichen Millstatts, vor dem berühmten Benediktiner Stift direkt an der Hauptstraße. Voriges Jahr wurde der Prachtbau, viele Jahre lang sträflich vernachlässigt, renoviert. Restaurant, Galerie, Notariat, teure Wohnungen sind eingezogen. Die Millstätter See Society geht wieder gerne hin, um zu essen, zu sehen und gesehen zu werden. Ein idealer Zeitpunkt für das Buch. Ich sah es in der örtlichen Trafik und kaufte es.

Der Kriminalfall war wirklich aufsehenerregend. Aber was mich jetzt so aufwühlt: Der 24-jährige Arzt, der die Obduktion vornahm, die erste seines Lebens, war ein gewisser Dr. L., der seit kurzem in Millstatt praktizierte. Und da klingelt es jetzt bei mir. Ich habe diesen Namen in meiner Kindheit ständig gehört. Ich rechne trotzdem nach. 1927 war er 24. Also Jahrgang 1903. Als ich geboren wurde, 1950 war er 47. Könnte sein!

Mutti erzählte oft, dass er, wenn es ihr in der Schwangerschaft schlecht ging, noch nachts mit dem Fahrrad aus dem 10km entfernten Millstatt nach Döbriach fuhr, um nach ihr/uns zu sehen. Als ich 14 Tage überfällig war, riet er ihr, mit 2 Kübeln Wasser die Stiegen im Haus der Großeltern auf- und abzugehen. Der Wehenbeschleuniger meiner frühen Tage. Als Mutti ihm verzweifelt gestand, dass sie auch während der Schwangerschaft nicht aufs Kettenrauchen verzichten konnte, sagte er mitfühlend: Dirndle, trink lei vül Mülch! Er muss ein sehr lieber Mensch gewesen sein.

Ihm oder seinem Vater, auch Arzt in Millstatt, muss im Jahr 1930 etwas Schreckliches passiert sein. Für alle Beteiligten sehr tragisch. Er wurde wieder einmal in mein Großelternhaus gerufen. Meine Omi, damals 26, war oft krank. Ich habe darüber auch schon geschrieben. Vor Weihnachten in diesem Jahr war sie wieder einmal bettlägerig. Zwei Kinder, meine Mutti 5 und meine Tante 3 Jahre, sowie Opapa, mussten versorgt werden. Sie holte ihre Mutter, die „Alte Ederin“, vom Insberg zur Verstärkung. Und steckte auch sie an mit ihrer Grippe.

Eine Woche vor dem Hl. Abend wurde Dr. L. geholt. Er gab meiner Uroma, die im „Frühstückszimmer“ lag, eine Spritze. Kurz darauf wurde ihr Gesicht blau. Der Arzt sagte tief bestürzt, man müsse damit rechnen, dass sie nur mehr ein paar Stunden leben würde. Tatsächlich starb sie am Nachmittag. Ur-Oma zu Hilfe ans Krankenbett der Omi gerufen, daselbst am 17. Dezember 1930 verstorben.

Obduktion gab es keine. Es gab Wehklagen aber keine Anklage. Es war halt so. Dr. L. blieb unser verehrter Hausarzt bis zur Pension. Ein echter Landarzt im besten Sinne. Er soll ein „Morphinist“ geworden sein. Er war bestimmt genug gestraft.

© 2020-08-26

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